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Europäische Einigung: Der neue Westen

Ob beim Klima oder in Lissabon: Europa geht wieder einig voran und erfüllt eine bedeutsame Gestaltungsrolle für die neue Weltordnung.

Eine Woche großer außenpolitischer Entscheidungen liegt hinter uns. Die Unterzeichnung des Vertrages von Lissabon beendet die Zeit der Ungewissheit. Europa hat seine Handlungsfähigkeit bewiesen und damit seine künftige Entscheidungsfähigkeit gestärkt, demokratischer wird es auch werden. Es wurde erreicht, was jetzt erreicht werden konnte.

Ähnlich verhält es sich mit der Konferenz in Bali. Auch dort wurde erreicht, was derzeit möglich ist. Und auch dort wurde die richtige Richtung eingeschlagen, in der nunmehr entschlossen vorangeschritten werden muss.

Europa hat sich in Lissabon auf sich selbst besonnen, es hat in Bali eine Führungsrolle beim weltweiten Klimaschutz übernommen. Europa stellt sich mit beiden Entscheidungen seiner globalen Verantwortung. Bei der Formierung der neuen multipolaren Weltordnung gehört Europa zu den globalen Akteuren. Deutschland wiederum hat beim Zustandekommen dieser Entscheidungen seine europäische Verantwortung erfüllt. Von niemandem wird bestritten, dass die Bundesregierung das Hauptverdienst am Zustandekommen des Vertrages von Lissabon hat. Die Bundeskanzlerin hat mit ihrem umweltpolitischen Engagement Europa auf ehrgeizige Klimaschutzziele eingeschworen und sie hat beim Gipfel in Heiligendamm auch den anderen Gipfelteilnehmern den Weg gewiesen. Europa erfüllt damit eine bedeutsame Gestaltungsrolle für die neue Weltordnung. Das geschieht mit Verantwortung, mit Weitsicht und mit der Einbringung eigener Erfahrungen, wie das vom neuen Denken des neuen Westens erwartet wird. Der Erfolg der Europäischen Einigung gründet sich auf die Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit der Völker, unabhängig von ihrer Größe. Das ist die Botschaft Europas an die Welt. Dazu gehört auch, dass regionale Zusammenschlüsse kleinerer und mittlerer Staaten in Zukunft Mitgestalter sein werden. War die Absage an Vorherrschaftsstreben Voraussetzung der Europäischen Einigung, so wird das in Zukunft global so sein. Kooperation und nicht Konfrontation mit den anderen globalen Mitspielern wie Russland, China, Indien, Japan, den regionalen Zusammenschlüssen in Asien, Lateinamerika und Afrika gehören ebenfalls zur europäischen Botschaft an der Welt, die wir in enger Partnerschaft mit unseren amerikanischen Freunden verwirklichen wollen.

Für die Administration in Washington geht das Jahr mit einer gänzlich anderen Bilanz zu Ende. Die Erwartung, Europa werde sich in ein altes und neues spalten, ist mit dem Vertrag von Lissabon endgültig erledigt. Die Gefahr, das Nato-Bündnis mit seinem Zwang zur Einigung könnte durch die sogenannte Koalition der Willigen gefährdet werden, ebenso. Selbst Großbritannien zieht die Fahne im Irak weitgehend ein. Dem inneren Zusammenhalt des Bündnisses kann das nur nützen, so wie es das Bündnis stärken würde, wenn auf den Raketenabwehralleingang an der Ostgrenze des Bündnisses verzichtet würde.

Europa muss jetzt auch in anderen Bereichen die Initiative ergreifen, bei der Ratifizierung des KSE- Zusatzvertrages, bei der Forderung nach nuklearer Abrüstung, wie sie George Shultz, Henry Kissinger, William Perry und Sam Nunn vor einem Jahr vorgeschlagen haben, und bei der Einbeziehung der Entwicklungsländer in eine gerechte Weltordnung.

Was bedeutet das für das europäisch-amerikanische Verhältnis?

Die innere Verbundenheit und Freundschaft der Europäer mit den Amerikanern ist von den Alleingängen der Bush-Administration unberührt geblieben. Die Vitalität der amerikanischen Gesellschaft und Demokratie entfaltet sich neu. Das Streben nach neuen Ufern wird deutlich sichtbar. Auch Al Gore meldet sich zu Wort. Auf Europa liegt in dieser Übergangszeit eine besondere Verantwortung. Sie wird gestärkt durch die Hoffnung und die Überzeugung, dass der neue Westen schon sehr bald auch der ganze Westen sein wird. Europa hat sich niemals abgewandt, weder von den USA noch von dem unverzichtbaren transatlantischen Bündnis. In der Stunde der Bewährung nach dem 11. September 2001 wurde das unter Beweis gestellt mit der erstmaligen Erklärung des Bündnisfalls.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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