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So viel Begeisterung wie die Europameisterschaft erfährt die EU lange nicht.

© dpa

Europameisterschaft: Warum die EM beliebter ist als die EU

Aus, aus, aus, das Spiel ist aus. Die Euro beginnt, und der Euro steht vor dem Abpfiff. Für einen Moment unterbricht Europa sein verlogenes Gerede von den großen Gemeinsamkeiten und streift fröhlich die Nationaltrikots über.

Siege sind jetzt gefragt, nicht Solidarität: Die Kanzlerin geht zu Mesut Özil in die Kabine, und Manuel Barroso hofft, dass seine Portugiesen morgen Abend Merkels Deutsche ordentlich versohlen. Ist das alles nur ein Spiel?

Man muss eine Fußball-Europameisterschaft nicht besonders überhöhen, um zu glauben, dass sie ehrlicher und überzeugender ist als die europäische Politik: Sechzehn Mannschaften spielen gegeneinander, dabei gelten Regeln, an die sich alle halten, und am Ende gibt es einen Sieger. Die Europäische Union hat dagegen all das, was sich beim Fußball als hilfreich erwiesen hat, abgeschafft. Es gibt keine Schiedsrichter, keine Regeln, keinen Wettbewerb. In Europa wird seit Jahrzehnten das Tor dahin getragen, wo der Ball gerade hinfliegt. Die Spielzeiten werden nach Belieben verlängert, und Mannschaften gibt es auch nicht mehr, weil wir alle seit Sokrates irgendwie ja doch in einem Team spielen. Warum nur kommt Jogi Löw nicht auf die großartige Idee, den Griechen Miroslav Klose zu leihen, damit sie endlich mehr Tore schießen?

Jetzt, da die Deutschen endlich in Stollenschuhen durch Danzig und Lemberg laufen und nicht mehr in Schaftstiefeln, und sie einen so verschwenderischen Fußball spielen, dass ihnen ganz Europa gern dabei zuschaut, können sie nur noch verlieren. Eine jubelnde Kanzlerin im Finale würde Deutschland im politischen Rückspiel viele Milliarden kosten.

Die europäische Integration ist ein Spiel ohne Regeln. Dass Merkel nun weitere Kompetenzen nach Brüssel abgeben will, dass sie der Union Regeln und Schiedsrichter aufzwingen will, geht an der dramatischen Erkenntnis der vergangenen Wochen jedoch vorbei: Die Vorstellung, dass alle in Europa das gleiche Spiel spielen, hat sich als Illusion erwiesen. Die Europäische Union ähnelt inzwischen einem Turnier, bei dem die Deutschen die anderen Mannschaften dafür bezahlen, dass sie überhaupt antreten. Für die politische Union, die Merkel jetzt fordert, fehlen ihr in Europa sogar die Mitspieler, wenn sie dafür mit Euro-Bonds lockt. Auch Frankreich lag es letztlich offenbar vor allem daran, Deutschland in die Beine zu grätschen.

Die Idee war einmal, diesen einzigartigen Staatenverbund politisch und ökonomisch so fit zu machen, dass er auch in der Welt vorne mitspielen kann. Nun muss, umgekehrt, diese Welt den Euro stützen. Die Idee war einmal, eine demokratisch legitimierte Union zu schaffen. Nun soll eine europäische Technokratenregierung die Macht zum Durchgreifen erhalten. Das Tor hat die EU schon lange aus den Augen verloren, jetzt wird nur noch verteidigt. Deshalb schauen die Europäer lieber Fußball als nach Brüssel: Das Spiel funktioniert nämlich.

Die Spanier sind pleite, aber amtierende Europameister. Deutschland ist Europas Meister, wollte diesen Titel aber nie. Und auch wenn die Politik den Fußball für sich vereinnahmen wird als feierliches Zusammentreffen des europäischen Gedankens – in Wahrheit ist die Fußball-Europameisterschaft der Wettbewerb zwischen Nationalstaaten, die sich gegenseitig ausspielen wollen. Das sollte die Union gerade nicht sein, doch die Realität kommt diesem Spiel sehr nahe. Mit dem Unterschied, dass es bei der politischen Europameisterschaft inzwischen nur noch Verlierer geben kann.

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