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Meinung: Europas Scheinwahl

Die Bürger haben kaum Einfluss darauf, wer sie in Straßburg vertritt Von Hans Herbert von Arnim

Von den 99 Abgeordneten, die Deutschland am 13. Juni ins Europäische Parlament schickt, stehen 77 schon fest. Sie haben sichere Listenplätze. Für fast 80 Prozent der künftigen Parlamentarier ist die Wahl somit gelaufen. In Wahrheit entscheiden also nicht die Wähler, wer sie im Europäischen Parlament repräsentiert, sondern Parteifunktionäre bei Aufstellung der Wahllisten. Damit ist zum Beispiel Martin Schulz, der die Bundesliste der SPD anführt, schon jetzt die Wiederwahl sicher, selbst wenn die SPD haushoch verlieren würde. Ähnliches gilt für den nordrheinwestfälischen CDU-Kandidaten Klaus-Heiner Lehne. Beide haben zwar die Öffentlichkeit durch Falschmeldungen getäuscht. Sie haben bei der Auseinandersetzung um die EU-Diäten die Zahlen manipuliert und Kritiker derart beschimpft, dass das Landgericht Hamburg sie mit einstweiligen Verfügungen stoppen musste. Die Wähler haben aber nicht den mindesten Einfluss, ob diese beiden wieder ins Parlament kommen.

Eine solche Scheinwahl ist mit dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Wahl der Abgeordneten durch die Bürger nicht vereinbar. Die Unmittelbarkeit ist zwingendes Recht. Sie besagt, dass nach der Wahl durch die Bürger nicht andere Instanzen letztlich die Personalauswahl treffen dürfen. Es läuft im Ergebnis aber auf dasselbe hinaus, wenn die Personen von den Parteien schon vorher festgelegt sind und den Wählern keinerlei Auswahl mehr gelassen wird. Auch das ist ein Verstoß gegen die Unmittelbarkeit. Die gegenteilige Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in einem Urteil von 1957 muss überprüft werden. Auch unabhängig von der rechtlichen Beurteilung ist die Entmündigung der Wähler ein demokratischer Sündenfall.

Was die Bürger allein noch wählen können, ist die Partei. Die bloße Parteienwahl ist aber kein Ersatz für echte Personalwahl, erst recht nicht bei Europawahlen. Im Gegensatz zur parlamentarischen Demokratie, wo die Wähler einer Partei (oder einer Koalition) die Mehrheit im Parlament verschaffen und sie so an die Regierung bringen, können die Parteien im europäischen Parlament keine Regierung wählen. Das Parlament kann von sich aus auch keine Gesetze erlassen. Es braucht dafür regelmäßig die Initiative der Kommission und die Zustimmung des Ministerrats. Für die Wähler ist es völlig unübersehbar, wofür oder wogegen die von ihnen gewählte Partei im Europäischen Parlament stimmt.

Umso wichtiger wäre es, dass die Wähler wenigstens die Personen auswählen können, von denen sie im Europäischen Parlament repräsentiertr werden. Erforderlich ist eine grundlegende Änderung des deutschen Europawahlgesetzes. Wie in den meisten EU-Staaten muss der Wähler die Möglichkeit erhalten, durch Vorzugsstimmen die Listen zu verändern.

Der Verfasser hat den Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verfassungslehre an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer inne.

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