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Meinung: Europas Verteidigung: Militärischer Gruß über den Atlantik

Allmählich wird es ernst. Nicht im Sinne jenes Falles, für den sich die Nato ein halbes Jahrhundert rüstete.

Allmählich wird es ernst. Nicht im Sinne jenes Falles, für den sich die Nato ein halbes Jahrhundert rüstete. Nein, nun muss das westliche Verteidigungsbündnis, zehn Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, mit seinem Erfolg fertig werden. Die Mühen der Ebene, die Bertolt Brecht nach dem Sieg des Sozialismus sah - nach seiner Niederlage plagen sie die Sieger. In der Epoche der klaren globalen Front gab es für Europa keine eigenständige Option. Gegenüber der anderen Weltmacht half nur die transatlantische Einheit mit den USA.

Doch mit dem Gegner schwand die Übersichtlichkeit. Nicht die Abwehr einer imaginären Großattacke ist angesagt, sondern praktisches Krisenmanagement. Wie auf dem Balkan. Das wollen, das müssen die Europäer notfalls allein können, heißt es. Angesichts der Vorbereitungen für eine eigene Eingreiftruppe von 50 000 Mann, die 2003 marschfertig sein soll, fragt sich: Müssen sie wirklich, wollen sie wirklich? Und, mindestens so wichtig: Können sie?

Frage Nummer drei ist am leichtesten zu beantworten: Nein, sie können nicht. Um militärisch handlungsfähig zu sein, müssen die Europäer auf die Kapazitäten der Nato zurückgreifen. Das beginnt schon bei den zur Planung erforderlichen Stäben. Ist das schlimm? Nein, nur logisch. Die Kapazitäten sind nämlich im transatlantischen Bündnis bereits vorhanden und werden von den Staaten (mit Ausnahme der USA) gestellt, die nun als Europäer handeln wollen. Komplett parallele Strukturen aufzubauen, wäre unbezahlbar und sinnlos.

So einfach die Theorie, so schwierig die Praxis. Frankreich etwa möchte so eigenständig sein wie möglich. Der Phantomschmerz der verlorenen Großmachtwürde prägt stärker denn je. Nicht nur der EU-Gipfel von Nizza hat es gezeigt. Auf der anderen Seite die Türkei, NatoPartner, nicht EU-Mitglied. Sie ist gegen den automatischen Zugriff der Europäer auf Einrichtungen des Bündnisses. Der Grund ist einfach: Ankara erhofft sich davon Druck auf die EU, damit es schneller aufgenommen wird. Soweit der Stand. Die Aussichten: Es wird sich schon hinläppern - wie in Nizza.

Allerdings ist das weniger dramatisch, denn ein Einsatz für die neue Truppe ist nicht in Sicht. Es bleibt also genügend Zeit zur Planung. Vorerst muss Europa nicht allein handeln. Am Ende wird es auf Konsultationsmechanismen hinauslaufen. Auch dies ist nicht zu dramatisch, denn außer bei problematischen Ausnahmen konsultieren die Partner ja nur sich selbst. Die Schwierigkeit hat jedoch auch ihr Gutes. Denn die Abstimmung der eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik im transatlantischen Rahmen ist ohnehin erforderlich.

Die USA bleiben der wichtigste Bündnispartner auch eines zur selbständigen Handlung fähigen Europa. Sieht man von Frankreich ab, will die EU nicht ohne Washington handeln. In welchem Falle sie es überhaupt müsste, ist nicht absehbar. Sie sollte es jedenfalls nicht wollen, denn dies wäre das Ende der transatlantischen Partnerschaft. Worum es geht, ist in Wahrheit nicht die eigenständige Aktion, sondern die Fähigkeit dazu - um auf Art und Ziel gemeinsamer Aktionen mehr Einfluss ausüben zu können, als dies bisher gegenüber der letzten verbliebenen Weltmacht der Fall war.

Dafür ist der Balkankonflikt ein Beispiel, aber auch der Golfkrieg. Die USA neigen dazu, die Marschroute zu bestimmen, im Krieg wie danach. Ob die neue Administration hier eine schärfere Gangart einschlägt als die vorige? Man wird sehen. Jedenfalls sollten die Europäer gewappnet sein. Hier liegt der wichtigste Grund, warum sie sich dann doch so schnell wie möglich einigen sollten.

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