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Meinung: Euthanasie: Leitartikel: Sterben dürfen? Sterben müssen!

Der Augenblick des Todes - allen Menschen steht er bevor, niemand weiß, wann er kommt. Und trotzdem kann man ihn verfehlen.

Der Augenblick des Todes - allen Menschen steht er bevor, niemand weiß, wann er kommt. Und trotzdem kann man ihn verfehlen. Das Sterben zu Hause ist zur Ausnahme geworden. Die moderne Medizin hat sich des Todes bemächtigt und Schwerkranken diese ureigenste Endphase ihres Daseins aus den Händen gewunden. Unter dem Summen von Herz-Lungen-Maschinen und Atemgeräten oder - wie jetzt in den Niederlanden - nach finaler Giftinjektion ereilt viele Patienten ein ärztlich gelenkter Tod. Therapeutischer Übereifer will das Leben künstlich verlängern, aktive Sterbehilfe das Ende beschleunigen. In Beidem spiegelt sich das gleiche Begehren - dem Moment des Todes auszuweichen: Man will sich eben nicht mehr von ihm ereilen lassen, flieht ihn oder kommt ihm zuvor.

Die Niederlande werden als erste Nation der Welt die aktive Sterbehilfe erlauben. Unheilbar krank muss ein Mensch sein oder unter unerträglichen Schmerzen leiden, wenn ihm der Arzt auf sein Verlangen hin die erlösende Todesspritze setzen soll. Nach Jahren der Diskussion hat damit die künstliche Lebensverlängerung der Intensivmedizin erstmals eine offizielle Antwort bekommen: die künstliche Lebensverkürzung.

So gesehen verspricht die aktive Sterbehilfe gegenüber dem anonymen Krankenhausbetrieb, in dem sich viele Schwerkranke und ihre Angehörigen ohnmächtig gefangen fühlen, auf den ersten Blick Erleichterung. Denn während durch die Intensivtherapie der eigene Tod immer fremdbestimmter und anonymer geworden ist, verheißt das Recht auf die Giftinjektion eine neue Souveränität, eine Rückeroberung des eigenen Todes.

Doch der Eindruck täuscht. Tötung auf Verlangen ist keine echte Hilfe der Lebenden für die Sterbenden. Denn Sterbende ersehnen nicht die erlösende Todesspritze, sondern etwas ganz anderes: menschliche Zuwendung und wirksame Schmerzlinderung. Das jedenfalls ist die Erfahrung der Hospizbewegung, deren Mitarbeiter Sterbende begleiten und auf diese Weise dem Sterben in der Öffentlichkeit und im Leben jedes einzelnen wieder mehr Raum verschaffen wollen. Sie sorgen für eine gute Schmerztherapie, geben durch menschliche Nähe dem Kranken die Möglichkeit, sein Sterben persönlich zu gestalten. Dann taucht der Wunsch, den Tod durch eine Spritze vorzeitig herbeizuzwingen, nicht mehr auf.

Zwar eint die Befürworter der aktiven Sterbehilfe und die Mitarbeiter der Hospizbewegung durchaus das Ziel, die Souveränität im Tod zurückzuerlangen. Doch aktive Sterbebegleitung ist etwas anderes als aktive Sterbehilfe. Die Sorge um Kranke und Sterbende ist Aufgabe aller, die dem Moribunden besonders nahe stehen - also keineswegs allein die Angelegenheit der Krankenpfleger, des Arztes oder des Seelsorgers. Und vielleicht kann sogar ein Kranker oder Sterbender in der letzten Phase seines Lebens noch erfahren, was er an gesunden Tagen in seiner Umgebung vermisst hat - Vertrauen und Annahme.

Demgegenüber täuscht die Legalisierung der verlangten Tötung eine Freiheit vor, die nicht existiert. Denn gerade empfindsame, schwerkranke Patienten können unter starken sozialen Druck geraten. Sie fühlen, dass sie für die Gesellschaft eine Belastung sind. Nur der schnelle Tod stört nicht das Lebensgetriebe der Umgebung, nur der schnelle Tod ist billig. Gerade Kranke sind hier besonders sensibel und lassen sich vielleicht davon beeindrucken, dass ihr langes Sterben die Etats der Krankenkassen über Gebühr strapaziert. Rasch wird dann aus dem Sterben dürfen ein Sterben müssen. Schleichend mutiert die neue Option für Todkranke zur stillen Aufforderung, Pflegekräfte und Angehörige zu entlasten und endlich den Wunsch nach der finalen Giftspritze auszusprechen. Das angeblich freie Verfügungsrecht, die angebliche Freiheit des Patienten, welche die Befürworter der aktiven Sterbehilfe beschwören, wandelt sich unter der Hand in einen diabolischen Zwang. Auch das belegt die bisherige Erfahrung der Niederlande. Der Augenblick des Todes muss unverfügbar bleiben, sowohl durch die Sterbewünsche des Kranken wie die Erlösungswünsche der Angehörigen.

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