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"Wir bleiben alle!". Fehlt in der linken Szene das Verständnis, dass anderswo Freiräume auch wieder entstehen können?

© dpa

Ewig gestrige Linksradikale: Kiezrevolutionäre, die neuen Spießer

Ein Jahr nach der Räumung der Liebigstraße 14 spielen sich Linksradikale als Kiezblockwarte auf, die anderen ihren Lebensentwurf aufzwingen wollen. Eine dynamische Szene braucht keinen Kampf gegen "Gentrification". Sie sucht sich neue Freiräume.

Von Markus Hesselmann

Auch Kiezrevolutionäre äußern sich gern in hochtrabenden Anglizismen. Der Kampf gegen „die Gentrification“, so heißt es im Pamphlet einer „AntiYuppieFront“, sei in vollem Gange. Ein Jahr nach der Räumung des Wohnprojekts in der Liebigstraße 14 machen diese und andere Gruppierungen gegen Eigentümer und neue Mieter in Friedrichshain mobil. Einen ersten Gewaltausbruch zum Jahrestag hat es am vergangenen Wochenende gegeben, weitere sind in dieser Woche zu befürchten.

Das unrettbar negativ aufgeladene Wort „Gentrifizierung“ wird in Berlin nicht nur von gewaltbereiten Linksradikalen, sondern auch von Stadtplanern und Politikern gern verwendet. Der Begriff kommt aus Großbritannien und steht für den Zuzug einkommensstärkerer Schichten in Gebiete, die bislang weniger solventen Bewohnern vorbehalten waren. Eine vernünftige Debatte über das Thema Zuzug, Wandel und Verdrängung kann dieser Kampfbegriff kaum mehr befördern. Denn was hier fast nur beklagt wird, ist doch zunächst einmal genau das, was Berlin braucht. Die Stadt müsste sogar noch mehr gut verdienende Zuzügler anlocken, damit sich der endlich begonnene Wirtschaftsaufschwung fortsetzt und es die Hartz-IV-Hauptstadt irgendwann aus der Abhängigkeit von Transferleistungen schafft.

Berlin ist aber auch auf radikale Ideen angewiesen. Die Anziehungskraft der deutschen Hauptstadt – paradoxerweise oft gerade auf die jungen bürgerlichen Zuzügler und „Gentrifizierer“ – liegt ja zu einem großen Teil am Anderssein der Metropole, an den alternativen Lebensentwürfen, an einer dynamischen Sub- und Gegenkultur. Wenn man schon in Berlin derzeit nicht so viel verdienen kann wie anderenorts, dann lebt man wenigstens in einer spannenden Stadt. Mit dieser für Berlin wichtigen Szene sind aber nicht ewig gestrige Linksradikale gemeint, die sich als Kiezblockwarte aufspielen und anderen ihren Lebensentwurf aufzwingen wollen. Sie sind eher die neuen Spießer, die Bewahrer des Status quo, deren Weltbild in puncto Ressentiments und Angst vor dem Fremden dem ihrer Gegenspieler vom äußeren rechten Rand ähnlich ist.

Eine dynamische Szene braucht keinen Artenschutz. Sie sucht sich neue Freiräume in anderen Bezirken der Stadt. Selbst in einer viel größeren und bedeutenderen Metropole wie London, in der die Subkultur einem deutlich höheren Kosten- und Verdrängungsdruck ausgesetzt ist, funktioniert dieser Erneuerungsprozess immer wieder. Niemand würde auf die Idee kommen, London als langweilig oder verspießert zu bezeichnen, nur weil einzelne Viertel schicker werden und die Subkultur deshalb weiterzieht. Dieser Prozess der Verdrängung und Erneuerung ist womöglich gerade das Merkmal einer Metropole, die nicht auf einen kurzlebigen Hype, sondern auf dauerhafte Anziehungskraft setzt.

Spannend in rot-schwarzen Zeiten wird vor allem, wie die CDU sich dazu verhält. Als Innensenator muss Frank Henkel dem Krawall wie schon sein sozialdemokratischer Vorgänger mit abgewogener Härte begegnen. Als Parteichef einer erneuerten, urbanen CDU aber sollte er den Wert der Gegenkultur anerkennen und seiner Klientel vermitteln. Im Gegenzug dürfen linke Politiker die Gentrifizierungskeule ruhig wegwerfen und Willkommensgrüße für Neu-Berliner nicht mehr von deren Einkommen abhängig machen. Und die Piraten könnten sich auch bei diesem Thema profilieren – mit weiteren überraschenden Manövern.

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