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Meinung: Fair handeln

Die EU-Importzölle auf Textilien sind ungerecht und schaden uns selbst Von Hans-Dietrich Genscher

Ihr seid mir schöne Vertreter eines freien Welthandels“, würde der letzte sächsische König der Europäischen Union zugerufen haben, nachdem diese Kontingente für chinesische Textilprodukte einführte. China hat Glück, es ist ein riesiges Land mit einem aufnahmefähigen Markt und damit ein gesuchter Handelspartner. Die Europäische Kommission bemüht sich deshalb um einen Ausweg aus der Sackgasse. Kleineren Staaten mit weniger wichtigen Märkten würde es schlechter ergehen. Gottlob ist der Brüsseler Handelskommissar ein Mann des freien Welthandels und versucht deshalb alles, um die Textilquote zu überwinden. Positiv ist auch zu bewerten, dass Deutschland ihn dabei unterstützt.

Was sich bei Textil vollzieht, ist im Agrarbereich gang und gäbe. Die Weltagrarmärkte werden von der EU und den USA in ihrer Funktionsfähigkeit gestört, weil mit aufwendigen Exportsubventionen die sehr viel teurer produzierten Agrarprodukte des Nordens den zu Gestehungskosten angebotenen Agrarprodukten des Südens auf dem Weltmarkt eine unfaire Konkurrenz machen. Die europäische Agrarpolitik verhindert das Entstehen von Kaufkraft und damit nachhaltige Entwicklung. Subventionen kosten viel Geld, das wir dringend brauchen für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Hier liegt unsere Zukunft.

Bei den Textilquoten werden Händler und Verbraucher in der EU geschädigt und der Weltmarkt beeinträchtigt, von dessen Funktionsfähigkeit ein Exportland wie Deutschland abhängig ist. Zudem sind wir interessiert am Entstehen von Kaufkraft in China, aber auch in den Ländern des Südens, nur so können unsere Exporte dort bezahlt werden. Dabei bietet Europa mit der Europäischen Union einer zusammenwachsenden Welt ein Zukunftsmodell: das Modell einer Region, in der die Völker, die gestern noch Gegner und in vielen Fällen auch Feinde waren, ebenbürtig und gleichberechtigt zusammenleben. Eine Region ohne Vorherrschaft. Für die Weltwirtschaft gilt wie im eigenen Lande, Marktwirtschaft löst Probleme und schafft sie nicht. Jeder Eingriff in die Marktgesetze aber beeinträchtigt deren Funktionsfähigkeit.

Diese Wirkung kann für die Weltwirtschaft im Zeitalter der Globalisierung weder durch das wirtschaftliche Gewicht der USA und Europas noch gar durch militärische Macht außer Kraft gesetzt werden. Die beiden derzeit bedeutensten Wirtschaftsräume der Welt, die USA und die EU, tragen hier eine besondere Verantwortung, das heißt, sie müssen stabile Rahmenbedingungen im Sinne der WTO schaffen, damit ein fairer Wettbewerb möglich wird.

Die Zeit von Vorherrschaftsstreben und Machtpolitik ist vorbei, auch im Bereich der Weltwirtschaft und des Welthandels. Wenn zum Jahresende in Hongkong der Weltwirtschaftsgipfel stattfindet, werden Europäer und Amerikaner Farbe bekennen müssen. Einen freien Welthandel à la carte gibt es nicht, er wäre das Gegenteil von dem, was sein Name ausdrückt.

Eine stabile Weltordnung entsteht nur, wenn sie in allen Teilen der Welt als gerecht empfunden werden kann. Ihre Verantwortung können die EU und die USA nur erfüllen, wenn sie die eigenen Grundwerte auch allen anderen Regionen der Welt zubilligen. Das bedeutet Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit für alle, ob Nord oder Süd, ob Ost oder West.

Für die Welthandelspolitik und für das Funktionieren der WTO heißt das alles: In einer offenen und freien Weltwirtschaftsordnung müssen alle Regionen ihre Chancen nutzen können. Diese neue Weltordnung kann nur kooperativ sein. Sie wird dann konfrontativ, wenn sie an die Stelle gleicher Rechte das Recht des Stärkeren setzt. Sie muss gegründet sein auf gegenseitige Akzeptanz und auf Ebenbürtigkeit. Wenn nach der Zukunft der unverzichtbaren transatlantischen Partnerschaft gefragt wird, hier muss sie ihre Verantwortung und ihre Bestimmung erkennen.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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