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Meinung: Faire Löhne, keine Almosen

Zur Trinkgeld-Debatte Kai-Uwe Heinrich hat mir aus dem Herzen gesprochen. Trinkgeld-Knauserer sind Überzeugungstäter, die handeln nicht aus Gedankenlosigkeit.

Zur Trinkgeld-Debatte

Kai-Uwe Heinrich hat mir aus dem Herzen gesprochen. Trinkgeld-Knauserer sind Überzeugungstäter, die handeln nicht aus Gedankenlosigkeit. Bei mir dominiert das Gefühl der Dankbarkeit, dass ich mir keine Gedanken um meine Ausgaben machen muss. Ein tolles Gefühl: Mir geht es so gut, dass ich von meinem Geld etwas abgeben kann. Ich kann auf einen Taschenrechner verzichten, der mir Ergebnisse mit zwei Stellen hinterm Komma zeigt. Ich muss nicht sofort umdisponieren, wenn ich irgendwo statt des bisherigen Viertelprozents woanders drei Achtel bekommen kann. Ich muss nicht frühmorgens als Allererstes die Aktienkurse prüfen. Ich glaube, damit komme ich dem näher, was die Philosophen ein „gutes Leben“ nennen.

Ulrich Waack, Berlin-Lichtenrade

Meinungsmache statt Nachrichten ist kein guter Journalismus. Inhaltlich mag die Sache gut gemeint sein, aber sie ist grundfalsch und kann einen gegenteiligen Effekt haben. Früher summierten die Kellner zehn Prozent Bedienung unter ihre handgeschriebenen Rechnungen, aber das waren natürlich Zeiten, als sie noch summieren konnten und sich im Zweifelsfalle nur in die richtige Richtung verrechneten. Und das Publikum war bereit und in der Lage, diese Rechnungen zu kontrollieren. Dann wurden mit der Mehrwertsteuer die Inklusivpreise eingeführt, auf den Rechnungen steht in der Regel „inklusive Steuer und 10 Prozent Bedienung“. Man muss also keinerlei Trinkgeld geben und sollte es vielleicht auch wirklich nicht tun, um amerikanische Verhältnisse zu vermeiden. Dort wird man ja teilweise schon beschimpft, wenn man nur 15 Prozent gibt, und die Kellner behandeln einen mies, wenn sie glauben, dass man zu wenig geben wird. Deshalb wird in USA ja gerade über die Einführung von Inklusivpreisen diskutiert, die dem Personal endlich ein verlässliches Einkommen bieten sollen. In Australien dagegen ist es wundervoll entspannend, dass niemand ein Trinkgeld erwartet und auch keine bezahlt werden. Man sollte hierzulande auch nur dann ein Trinkgeld geben, wenn der Service gut und freundlich war und ein richtig gutes Trinkgeld für besondere Leistungen. Das Trinkgeld soll eben nicht eine miserable Bezahlung ersetzen, sondern eine Belohnung sein für gute Taten. Der spendable Gast kann nicht den Kampf für angemessene Bezahlung ersetzen.

Achim Meister, Berlin

Ich muss zugeben, der Artikel regt mich auf. Da beutet einer seine Friseuse und seinen Schuster aus, indem er ihnen unanständige Hungerlöhne von sieben Euro für ’nen Haarschnitt und fünf Euro für ’ne Schuhreparatur bezahlt. Und brüstet sich dann damit, ein paar Euro Almosen zu geben. Trinkgeld zu geben ist okay, aber nicht bei gleichzeitiger Ausbeutung der Arbeitenden. Was Deutschland braucht, gerade auch in den Dienstleistungen, sind faire Löhne, keine Almosen. Jeder Haarschnitt unter ca. 20 Euro ist Ausbeutung (ggf. auch Selbstausbeutung der Selbständigen, die dann aufstocken gehen). Jede Schuhreparatur auch.

Klaus Neumann, Berlin-Kreuzberg

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