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Europas Regierungen werben um Milliardenhilfe aus China.

© dpa

Falsche Ängste: Warnung vor einem "Ausverkauf" Europas an China ist Unfug

Die Nachricht, dass europäische Regierungen um Geld aus China werben, lässt die Meinungsmacher des Boulevards aufschreien. Sicher, Europa macht sich abhängig - China aber auch.

Erst ein Jahr ist es her, da priesen Wirtschaftsführer in Europa und Amerika die chinesische Regierung als Retter in höchster Not. Nachdem die westliche Finanzindustrie die schlimmste Rezession der Nachkriegsgeschichte verursacht hatte, waren es Chinas Wirtschaftslenker, die mit dem größten je aufgelegten Konjunkturprogramm weltweit die Nachfrage ankurbelten und damit die Krisenstaaten vor dem Schlimmsten bewahrten. Insbesondere der deutschen Industrie bescherte der China-Boom eine Sonderkonjunktur und ließ die Folgen der Krise hierzulande glimpflich ausfallen.

Aber nun, da die Regierungen der Eurozone bei Chinas Wirtschaftslenkern um Kredithilfe bei der Bewältigung ihres Schuldendebakels werben, gilt die chinesische Wirtschaftsmacht vielen Zeitgenossen plötzlich als Bedrohung. Es drohe ein Ausverkauf Europas an China, warnen uns die Meinungsmacher des Boulevards. Hans-Werner Sinn, Deutschlands letzter Nationalökonom, verstieg sich gar zu der Behauptung, die mögliche Beteiligung der chinesischen Zentralbank am Euro-Rettungsfonds mache die EU „politisch abhängig“ und verschaffe den Chinesen „ein Einfallstor für ihre Waren“.

Das klingt griffig und geht doch völlig an der Realität vorbei. Denn die vermeintlich drohende Abhängigkeit ist längst eingetreten. Und was noch wichtiger ist: Sie besteht auf Gegenseitigkeit. Denn so dringend die Euroländer nun Kredite aus China benötigen, so unverzichtbar ist die Europäische Union für China. Schließlich ist sie Chinas wichtigster Handelspartner, der von dort Waren und Dienstleistungen für rund 260 Milliarden Euro im Jahr bezieht, mehr noch als die USA. Darum hat die Regierung in Peking ein ureigenes Interesse an der wirtschaftlichen Stabilität Europas. Zugleich erzielt aber Chinas Wirtschaft, vor allem wegen der Einbindung in die Produktionsketten der europäischen Konzerne, im Handel mit der EU einen Überschuss von rund 170 Milliarden Euro im Jahr. Darum ist es ein ganz normaler Vorgang, dass Chinas Banken und Unternehmen zumindest einen Teil dieser so erworbenen finanziellen Ansprüche in europäische Wertpapiere und Firmen investieren. Nichts anderes geschieht seit Jahrzehnten mit den Überschüssen des notorischen Exportweltmeisters Deutschland, dessen Anlagestrategen allerdings dumm genug waren, einen großen Teil davon in aufgeblasenen Immobilienmärkten und schlecht regierten Ländern zu versenken.

Vor diesem Hintergrund ist die Warnung vor einem „Ausverkauf“ an China Unfug. Der Bestand von Euro-Anleihen bei der Pekinger Zentralbank liegt noch immer weit unter den akkumulierten Handelsüberschüssen. Und zum Ende vergangenen Jahres hatten deutsche Unternehmen 17 Mal mehr in China investiert als umgekehrt. Auch für die gesamte EU betrug das Verhältnis fast zehn zu eins. Insofern sind die jetzt zunehmenden Einkäufe chinesischer Investoren bei EU-Unternehmen von Volvo bis zur Münchner Rückversicherung nur eine logische Folge der rasanten wirtschaftlichen Verflechtung und genauso wenig Ausdruck eines Willens zur Eroberung, wie es die weltweite Expansion der deutschen Konzerne ist.

Die eigentliche Sorge für alle Beteiligten sollte vielmehr sein, wie sie die globale Koordination der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik so weit vorantreiben, dass nicht wieder die politischen Fehler in einer Region die ganze übrige Welt in Not bringen. Leider machen da die absehbar mageren Ergebnisse des für diese Woche angesetzten Gipfels der G-20-Staaten in Cannes wenig Hoffnung.

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