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Meinung: Feiern, bis die Zuversicht kommt

Die WM 2006 sollte ein Vorspiel auf das Jubiläum des Mauerfalls 2009 sein Von Hubertus Knabe

Das soll meine Tochter sein? Seit Tagen läuft sie mit einem schwarz-rot-goldenen T-Shirt herum, nimmt auf dem Schulweg eine Deutschlandfahne in die Hand und verdeckt ihre blonden Haare mit einer national gefärbten Irokesenperücke. Was ist los mit diesem Land?

Ich gestehe, dass ich mit den staatlichen Symbolen der Bundesrepublik nie etwas anfangen konnte. Wenn die höchsten Repräsentanten am Jahresende ihre Fernsehansprachen hielten, fand ich es peinlich bis unangenehm, wenn sie dies, wie anderswo, vor einer schlaffen Staatsflagge taten. Zu oft hatte man uns im Westen die Aufmärsche der Nationalsozialisten vorgeführt, als dass man ein unbefangenes deutsches Wir-Gefühl hätte entwickeln können.

Im Osten Deutschlands war das Flaggenschwingen erst recht verpönt. Als ich meine Frau fragte, ob denn in ihrem Haus an Staatsfeiertagen die Fahne hing, schaute sie mich nur entgeistert an: „Wir? Wir haben doch nicht geflaggt!“ An der Bereitschaft, am 1. Mai oder 7. Oktober die Fahne herauszuhängen, erkannte man in der DDR die 150-Prozentigen und die fast noch mehr verachteten Opportunisten. Durchsetzen konnte die SED das Fahnenhissen nur auf den so genannten Protokollstrecken.

Selbst im Herbst 1989, als die Ostdeutschen das SED-Regime stürzten und den Weg zur Wiedervereinigung öffneten, blieb vielen die deutsche Flagge suspekt.

Doch plötzlich ist alles anders geworden. Nicht dumpfe Deutsche mit Minderwertigkeitskomplexen zeigen sich in den Farben der Nation, sondern gut gelaunte Jugendliche, die sie kurzerhand zum Modeartikel erklären. Im Westen macht sich sogar die grüne Waldorf-Lehrerin ein Fähnchen an ihr Auto, im Osten der ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes. Der freiwillige, unbeschwerte Umgang mit dem Fahnenstoff, den andere Nationen schon lange praktizieren, wirkt irgendwie ansteckend. Er beendet nicht nur ein jahrzehntealtes Tabu, sondern führt die Deutschen auch unerwartet zusammen.

Die Politik könnte daraus einige Schlussfolgerungen ziehen. Kollektive Erfolgserlebnisse, und sei es nur ein gewonnenes Fußballspiel, machen einem Volk gute Laune. Warum werden die Erfolge, die dieses Land zweifellos vorzuweisen hat, dann so selten gefeiert? Anlässe gäbe es genug dafür, vom Nobelpreis für Deutschland bis zum Geburtstag von Johann Sebastian Bach, vom international gefeierten Film bis zu erfolgreichen Olympischen Spielen. Statt den Deutschen wie in der Kampagne „Du bist Deutschland“ künstlich Nationalstolz einzutrichtern, wäre schon viel gewonnen, wenn Politiker häufiger die tatsächlichen Leistungen würdigen und nicht nur von den Missständen und Problemen reden würden.

Den Medien kommt dabei eine besondere Verantwortung zu. Sie sind es, die uns seit Jahren mit immer neuen Untergangsszenarien quälen: vom Atomkrieg, wie er Anfang der 80er Jahre prognostiziert wurde, über den baldigen Tod unserer Bäume durch das Waldsterben bis zur weltweiten Klimakatastrophe und jetzt die unvermeidliche Vergreisung der Deutschen. Natürlich sollte man vor Problemen nicht die Augen verschließen. Doch nur wer sich auf die eigenen Stärken besinnt, hat die Kraft, sie aus der Welt zu schaffen.

Dabei kann auch der Blick zurück helfen – und zwar nicht nur auf die Horrorzeiten deutscher Geschichte. Es ist noch gar nicht lange her, dass in Deutschland etwas stattfand, was in anderen Ländern sogar nach über 200 Jahren noch gefeiert wird: der Sturz einer Diktatur durch eine demokratische Revolution. Auch im Herbst 1989 befand sich das Land in einem Freudentaumel.

Wenn die Politiker also einen Anlass brauchen, den Deutschen mehr Zuversicht einzuhauchen, dann könnte dies das Mauerfalljubiläum im November 2009 sein. Ich stelle mir vor, wie zwischen Brandenburger Tor und Siegessäule ein Volksfest veranstaltet wird. Großbildleinwände zeigen, wie die Montagsdemonstrationen in Leipzig immer größer wurden und schließlich die ersten Trabis den Westen erreichten. Die Nationalelf veranstaltet ein Freundschaftsspiel, und im Fernsehen sieht man, was sich seit 1989 alles verändert hat. Meine dann 16-jährige Tochter zieht ein schwarz-rot- goldenes T-Shirt an und freut sich, dass die Deutschen dies alles so hinbekommen haben – ohne einen Tropfen Blut zu vergießen.

Der Autor ist Direktor der Stasiopfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

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