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Meinung: Feinde haben, Feinde machen

Papst statt Bush: Auch in Deutschland wird der Antiislamismus salonfähig

W ieder einmal, auch zum fünften Jahrestag der Anschläge vom 11. September 2001 fragten sich viele: Gibt es eigentlich etwas, das der Rest der demokratischen Welt vom Kampf der US-Regierung gegen den Terrorismus lernen kann? Die Antworten fielen, wie bei den vorherigen Jahrestagen, negativ aus. Afghanistan- und Irakkrieg, der Patriot Act, Guantanamo, Abu Ghraib: Das alles schreckt eher ab. Doch dann hielt Papst Benedikt XVI. seinen inzwischen berühmten Vortrag in der Regensburger Universität – und plötzlich tauchte aus der Erinnerung eine rühmliche Ausnahme auf, der US-Präsident selbst, George W. Bush.

Er, der so oft und so oft zu Recht für seine Rhetorik gescholten wurde, ging, nur wenige Tage nach dem Einsturz der beiden Türme des World Trade Centers, ins Islamische Zentrum in Washington D. C. und sagte: „Das Gesicht des Terrors ist nicht das wahre Gesicht des Islam. Der Islam ist eine friedliche Religion. Wir kämpfen nicht gegen den Islam.“ Diese Sätze wiederholt Bush bis heute. Klar wie kein anderer markiert er eine scharfe Trennlinie zwischen Islam und Islamismus, Glaube und Fanatismus. Das wird ihm verübelt, gerade im eigenen Lager. Konservative Intellektuelle protestieren ebenso wie die protestantisch-evangelikalen Prediger Jerry Falwell („Mohammed war ein Terrorist“) und Franklin Graham („Der Islam ist böse“).

Wir gegen sie, der Kampf der Kulturen, der Krieg der Religionen: Das ist auch die Hauptbotschaft von Osama bin Laden. Auf diese Wahrnehmung der Auseinandersetzung arbeitet er hin. Offenbar mit Erfolg, auch in Europa. Schon vor „Nine-Eleven“ erschien in den Niederlanden das Buch von Pim Fortuyn „Gegen die Islamisierung unserer Kultur“. Im August 2001 sagte Fortuyn: „Den Islam sehe ich als eine außerordentliche Bedrohung an, als eine feindliche Gesellschaft.“ Im Mai 2002 wurde der Politiker von einem Umweltschutzaktivisten erschossen – und im November 2004 von Fernsehzuschauern zum größten Niederländer aller Zeiten gewählt.

Nun schreitet die Pimfortuynisierung auch in Deutschland voran. In der „Welt“ kam unlängst der Orientalist Hans-Peter Raddatz zu Wort. Er drückte unmissverständlich aus, was der Papst in seiner Regensburger Vorlesung lediglich anzudeuten schien: Allein wegen ihres Glaubens haben Muslime eine größere Affinität zur Gewalt als Nichtmuslime. Strenggläubige Muslime, so Raddatz, könnten „als geistige Klone“ verstanden werden. „Solcherart Indoktrinierte haben keine Alternative zur Aggression, wenn sie mit Kritik konfrontiert werden.“

Die aggressive Natur der Muslime, ihre Unfähigkeit, Kritik zu ertragen, ihr Hang zum Beleidigtsein, ihre Rückständigkeit: Aus diesen Topoi speist sich der Antiislamismus. Doch der Gegner wird nicht mehr allein durch seine Taten definiert, sondern durch seinen Glauben, seine Identität. Nach „Nine-Eleven“ hieß im Westen: Die Terroristen hassen uns nicht für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Jetzt wird der Spieß umgedreht, freilich nicht mit Hilfe des Terrors, sondern unter dem Deckmantel der Analyse.

Terror, das Wüten islamischer Milizen im Sudan, fehlende Meinungs- und Religionsfreiheit, die Unterdrückung der Frauen, die Geißelung der Homosexualität, Antisemitismus, fanatische Reden: Das alles findet statt in der arabisch-muslimischen Welt. Oft genug, wie beim Karikaturenstreit, werden Lappalien grausam instrumentalisiert. In Somalia wurde wegen der Papstrede eine italienische Nonne ermordet. Doch dies alles zu brandmarken, darf nicht bedeuten, die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Welt an sich unter Generalverdacht zu stellen. Wer unsere Emanzipationserrungenschaften – Gewaltfreiheit, Demokratie, Emanzipation, Menschenrechte – gegen die Lehre des Islam ausspielt, betreibt eine moderne, verführerische Form der Ausgrenzung. Ihr können auch „Emma“-Leser, Amnesty-Sympathisanten und Papst-Anhänger erliegen.

Für einen Hammer sieht jedes Problem aus wie ein Nagel. Wer unterscheidet – Islam, Muslime, Islamisten, Araber, Einwanderer, Terroristen –, macht sich in den Augen jener lächerlich, die glauben, die eigenen Werte nur durch Pauschalierungen des Gegners verteidigen zu können. Sie vertreten im Ergebnis einen Antiislamismus, der in Form eines „linken“, emanzipatorischen Menschenrechtsdiskurses daherkommt. George W. Bush hat dieser Versuchung stets widerstanden. Selbst der Papst kann von ihm noch etwas lernen.

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