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Meinung: Fischers früher Start

Warum der Außenminister jetzt in den Nahen Osten reist

Joschka Fischer hat wieder einmal die Nase vorne. Noch während im Irak gekämpft wird, besucht er Israel und die palästinensischen Gebiete – den Krisenherd, dem sich das Interesse sowohl der USA als auch der EU als nächstes zuwenden wird. Er ist der erste Außenminister in Jerusalem nach den Wahlen in Israel und der erste in Ramallah seit der Ernennung des palästinensischen Ministerpräsidenten Mahmud Abbas, besser bekannt als Abu Masen. Und er kann besser als jeder andere europäische Politiker beiden Seiten klarmachen, dass nun ein höheres Tempo eingeschlagen werden muss, um endlich wieder Fortschritte in den Friedensbemühungen zu erzielen.

Mehrfach hatte das Nahost-Quartett – die UN, Amerika, die EU und Russland – seinen „Fahrplan" zum Frieden publik machen wollen, es wurde immer wieder verschoben. Nun aber sollte es soweit sein: wenn die Kämpfe im Irak enden und Abu Masens neue Regierung die Arbeit aufnimmt.

Palästinenser und vor allem Israelis verzögern das Vorhaben jedoch. Nach den unzähligen Solidaritätsbeweisen der palästinensischen Massen für Saddam Hussein drängt die Bush-Regierung wohl auch nicht mehr so stark wie zuvor auf die Gründung eines – vorläufig nur provisorischen – Staates Palästina. Israels nationalistische Regierung wendet ihre altbewährte Verzögerungstaktik an, sagt formell Ja auch zum „Fahrplan", verbindet das aber mit so vielen Vorbehalten, dass das auf eine Ablehnung hinausläuft. Wenige Stunden vor Fischers Ankunft in Jerusalem bekräftigten der neue Außenminister Silvan Shalom und Verteidigungsminister Schaul Mofas, es werde keine Verhandlungen geben, ehe nicht Gewalt und antiisraelische Hetze ein Ende haben.

Fischer stößt trotz seines Rufes als Israel-freundlichster europäischer Außenminister in Jerusalem auf erhebliches Misstrauen. Das illustrierte die Absage seines Treffens mit dem neuen Justizminister Tommy Lapid – der hatte verlangt, Fischer solle ihn in seinem Ministerium im annektierten Ost-Jerusalem treffen und nicht wie üblich im Hotel im jüdischen Westen der Stadt. Die Botschaft Lapids und damit der Regierung Scharon ist klar: Das vereinigte Jerusalem ist und bleibt allein Israels Hauptstadt und ist kein Verhandlungsgegenstand, wie es Palästinenser fordern und Europäer wünschen. Zudem könne die EU nicht von Israel verlangen, die offiziellen Aktivitäten der Palästinenser in Ost-Jerusalem zuzulassen, wenn sie gleichzeitig die offizielle israelische Präsenz am gleichen Ort boykottiere.

Israel hat Europa über Jahrzehnte politisch vernachlässigt. Die nationalkonservative Regierung Scharon ist stur auf Washington ausgerichtet. Beides hat dazu geführt, dass man in Jerusalem selbstsicher verkündet, einzig und allein die USA bestimmten letztlich den „Fahrplan“ zum Frieden, Europa sei da „nicht relevant".

Anderseits plant das israelische Außenministerium eine diplomatische Offensive in Europa – in der Hoffnung, die EU (und namentlich Deutschland und Frankreich) zu einer Annäherung an die amerikanische Auslegung des „Fahrplans" zu bewegen. Außerdem sollen sich die Europäer verpflichten, die politische und wirtschaftliche Stellung Abu Masens zu stärken – sofern der die Erwartungen erfüllt.

Fischer ist den Israelis mit seinem Besuch zuvorgekommen. Nach seinen Gesprächen wird er als erster Ausländer einschätzen, welche Absichten die neue palästinensische Führung unter Abu Masen hegt und welches Tempo sie anschlagen will. Bei der Gestaltung der EU-Nahostpolitik verschafft sich Fischer damit einen uneinholbaren Vorsprung vor seinen europäischen Kollegen.

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