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Zeltwelt. Vor allem aus Afrika stammten die Flüchtlinge, die seit mehr als einem Jahr am Oranienplatz campierten. Inzwischen sind andere da – und ein Anwohner ist vor Gericht gezogen, weil er sich durch das Camp belästigt fühlt.

© imago stock&people

Flüchtlinge in Deutschland: Warum wir eine Reform des Asylrechtes brauchen

Jahrelang konnte man in Deutschland denken, dass wir mit dem Flüchtlingsproblem auf der Welt nichts zu tun haben. Spätestens in diesem Jahr hat sich das geändert. Ob vor Lampedusa oder auf dem Oranienplatz: Die Flüchtlingsproblematik kommt allmählich auch in Deutschland mit voller Wucht an. Und wir sind kaum darauf vorbereitet.

Zum Glück für die Deutschen ist Lampedusa eine italienische Insel. Flüchtlingselend der harten Sorte, entkräftete Menschen, Tote, die im Meer treiben – was für die Bewohner Lampedusas und anderer Inseln zwischen Europa und Afrika zum Alltag gehört, kennt man hier bloß aus dem Fernsehen. Manchmal schaffen es dann Flüchtlinge bis nach Deutschland, bis nach Berlin – und man ahnt etwas von der wachsenden Wucht der Flüchtlingsproblematik.

Ein paar Jahre lang mochte man ja denken, dass „Schengen“ (Schutz der EU-Außengrenzen, Freizügigkeit im Innern) und „Frontex“ (robuster Grenzschutz, auch auf dem Meer) das Flüchtlingsproblem erträglich gemacht haben – erträglich in dem Sinn, dass man sich nicht näher damit befassen muss. Doch auch in Berlin sind Flüchtlinge zu sehen. Afrikaner, die aus Bürgerkriegsländern fliehen und hier friedlich leben wollen, Syrer, die dem Krieg im eigenen Land entkommen sind, Afghanen, Russen, Serben, Iraner, die Asyl suchen: Die Zahlen steigen wieder, und im Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz, beim Hungerstreik am Brandenburger Tor oder beim Einzug in einen Plattenbau in Hellersdorf werden aus Zahlen Menschen.

Menschen mit Motiven: Frauen, Männer, Kinder haben ihre Heimat verlassen – oder eben Orte, die sie als ihre Heimat wertschätzen würden, wenn nicht kriegerische Gewalt, Aggressivität oder die reine Not sie von dort vertreiben würden. Ende 2013 könnte dieses Land 100 000 neue Bewohner bekommen haben, die hier Asyl suchen. Dazu kommt eine unbekannte Zahl von sogenannten Papierlosen, die ohne geregelten oder gesicherten Status hier leben, mit im wahrsten Sinne prekären Folgen für ihre Arbeitsmöglichkeiten und ihre Gesundheitsversorgung.

Auch wenn man sich als Staatsbürger auf den sicheren Rechtsstandpunkt zurückzieht, auch wenn man begriffsguillotinengenau unterscheidet zwischen erfolgreichen Asylbewerbern und skeptisch zu betrachtenden Elendsflüchtlingen und Wirtschaftsmigranten, dürften die ruhigen Jahre vorbei sein. 2006, 2007, 2008 kamen bloß 30 000 Asylbewerber: fast unbemerkt. Von unbemerkter Mehr-oder-weniger-Integration kann aber keine Rede mehr sein, wenn Kommunalpolitiker sich fragen, wie viele Romakinder sie in einer Schulklasse unterbringen können oder ob es sich lohnt, eine Extraklasse zu eröffnen, damit die Kinder Deutsch lernen; wenn das Vermieten von Wohnungen an Menschen ohne Rechte zum Geschäftsmodell wird; wenn sich in Kreuzberg eine handfeste, womöglich gewaltsame Auseinandersetzung über ein Flüchtlingscamp anbahnt, nachdem eine Gruppe politisch motivierter Flüchtlinge mehrere Bundesländer durchwandert hat, um auf das hinzuweisen, was aus ihrer Sicht problematisch ist: Flüchtlinge haben kein Flüchtlings-, sondern ein Asylrechtsproblem.

Noch lassen sich darauf eher die Kirchen ein als die Politiker. Die wollen, so steht es im Koalitionsvertrag, schnellere Entscheidung und „humanitäre“ Verbesserungen, aber keine Rechtsänderung. Grüne und Linke, die machtlose Opposition, wollen ein weicheres Asylrecht, leichter überwindbare Grenzen. Die Bundespolitik verwaltet das Thema. Ohnehin gehörte ein anderer Umgang mit Asylsuchenden und Flüchtlingen auf die Agenda der von Angela Merkel in ihrer jüngsten Regierungserklärung apostrophierten „europäischen Innenpolitik“. Gleich danach sprach Merkel über das, worum es immer geht: über Geld.

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