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Hin und zurück: Flüchtlinge vom Oranienplatz streiten sich mit Polizisten

© dpa

Flüchtlingscamp am Oranienplatz: Kreuzberger Mächte

Es kehrt keine Ruhe am Oranienplatz ein. Der Konflikt um das Flüchtlingscamp ist ein lebendes Mahnmal für das verquere deutsche Asylrecht - und dafür, wie eigenwillig Kreuzberg mit seinen Problemen umgeht.

Schon seltsam, diese Kreuzberger Politik. Probleme, so scheint es, werden dort derart gelöst, dass neue Probleme entstehen. Prinzipien werden bis zur Unkenntlichkeit weichgeredet. Das zeigt der Umgang des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg mit dem Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz: Kaum wurde eine Unterkunft für die Leute aus dem „Refugee Camp“ gefunden, kaum glaubte die Bürgermeisterin Monika Herrmann, dass für diesen Winter die Situation auf dem Platz ihre Brisanz verlieren würde, geht der Konflikt in die nächste Runde. Neue Flüchtlinge, unterstützt von anonymen Autonomen, die dem Streit um das Asylrecht seine moralische Schärfe erhalten wollen, 31 verletzte Polizisten nach einer „Spontandemonstration“ – und schon sehen alle Wohlmeinenden und Hilfsbereiten so aus, als seien sie in Anbetracht dieses typisch kreuzbergischen Politkonflikts einfach bloß naiv gewesen.

Aber so läuft es oft in Kreuzberg, erst recht seit sich auf diesen Teil der Berliner Mitte alle Kräfte der städtischen Veränderung, Planierung, Neuerschaffung konzentrieren. Mediaspree, die große Aufwertungsorgie? Der Senat wollte, die Szene und Alt-Kreuzberg wollten nicht. Das Bezirksamt mittendrin versuchte, planerisch Freiflächen und Uferstücke aus den Großprojekten herauszubrechen. Der Kreuzberger Anarcho-Mai, Revoluzzerwahn für eine Nacht? Die Polizei focht dagegen an in einem Prinzipienstreit über Räume und deren zeitweilige Rechtsfreiheit. Es waren Kreuzberger Amateurpolitiker und Politaktivisten, die mit dem „Myfest“ den 1. Mai über weite Strecken befriedeten.

Kreuzberger Art: Konflikte heruntermoderieren, Gegensätze abschmelzen

Die Bethanien-Besetzung? Aus endlosen Sitzungsrunden an runden Tischen entstanden Nutzungs- und Mietverhältnisse für die anarcho-linken Besetzer. Zum offenen Konflikt zwischen dem grün geführten Bezirksamt und dem weitläufigen linksalternativen Milieu, das die Besetzung als „Widerstand“ gegen die „Gentrifizierung“ sah, kam es nicht. Der Kollateralschaden: Das Künstlerhaus Bethanien verließ Bethanien; es passte mit seinem Anspruch nicht mehr ins jetzt „soziokulturelle“ Umfeld. Im Prinzip aber war der Streit auf Kreuzberger Art und im Bürgermeister-Schulz-Stil beigelegt worden: Politik ist das Heruntermoderieren von Konflikten. Problemlösung besteht im Abschmelzen der Gegensätze.

Monika Herrmann ist, das zeigt ihr Umgang mit den Flüchtlingen, eine würdige Nachfolgerin. Dazu gehört, dass man im Rest von Berlin gewisse Verständnisprobleme hat für dieses Probleme-lösen-Probleme-schaffen-Prozedere. Ganz abgesehen von der eskalierten Demonstration stellen sich Fragen wie: Gehört der Oranienplatz nicht vielleicht den ganz normalen Bürgern, und sei es, um dort, nach Kreuzberger Art, mit einem Bierchen zu chillen? Gaben die Konflikte zwischen Flüchtlingen, die eskalierenden Reibereien, nicht Anlass, um etwas gegen das Camp zu unternehmen? Die Kreuzberger Antwort war: „Jein!“ Am Oranienplatz arrangierten sich die Leute, die CDU als Partei braver Bürger erreicht hier gerade 8,4 Prozent. Jenseits der Bezirksgrenzen halten sich Politiker vom Bundesinnenminister bis zum Innensenator fern von dem Flüchtlingstreck der Lampedusa- Überlebenden; Frank Henkel kommt Herrmann nun nach einem Jahr des Schweigens mit einem Ultimatum.

So ist auf dem Oranienplatz ein lebendes Mahnmal für ein bitteres Problem des deutschen Asylrechts entstanden. Anteil haben viele daran. Die Kreuzberger Bürgermeisterin steht immerhin dazu.

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