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Flüchtlingscamp auf dem Oranienplatz: Lokaler Ausläufer eines globalen Bebens

Kaum ist das Camp auf dem Oranienplatz in Kreuzberg verschwunden, beginnt in Berlin die politische Gewinnausschüttung. Dabei ist der Umgang mit Flüchtlingen kein lokales, sondern ein globales Problem.

Am Tag danach, als das Flüchtlingscamp vom Oranienplatz endlich aufgelöst und die Politik zufrieden war, meldete der italienische Innenminister die Zahl der Menschen, die in den vergangenen 48 Stunden von Seeleuten im Mittelmeer gerettet wurden: 4000. Sie waren auf dem Weg nach Europa, vertrieben von Krieg und Armut, genährt von Hoffnung, verlockt von Verheißung. Seit Anfang des Jahres sind 15 000 Flüchtlinge in Italien angekommen, mehr als je zuvor; allein aus Syrien haben sich zehntausende Menschen, auf der Flucht vor Gas und Raketen, nach Europa und Amerika durchgeschlagen; hunderttausende, heißt es, wollen ihnen folgen.

Berlin hat nicht mehr verspürt als einen lokalen Ausläufer eines globalen Bebens – und war von dem schon reichlich erschüttert. Ebenso lokal wie erschütternd orientierungslos wirkte lange auch die Politik. Erst wollte dort niemand verantwortlich sein, erbärmlich lange; am Ende aber, am guten Ende, zeigt jeder stolz sein Kehrblech vor. Ein bisschen was ist überall drauf, mit Mühe und Not zusammengekratzt: Hätte Henkel nicht gedroht, hätte Wowereit nicht Kolat eingesetzt, hätte Hermann nicht die Polizei geholt.

Die anderen Länder Europas haben Italien zu lange die Unterstützung versagt

Kaum sind die Flüchtlinge weg, die Masse aufgelöst in Einzelfallprüfungen und versteckt in umgewidmeten Hostels, beginnt die politische Gewinnausschüttung. Der Innensenator sieht sein Profil geschärft, der Regierende Bürgermeister seine Macht gestärkt, die Integrationssenatorin ihre Aufstiegschance verbessert, die Bezirksbürgermeisterin sich gerade noch aus der Affäre gezogen, und auch der Sozialsenator hat mal etwas zur Sache gesagt. Die politische Tektonik der Stadt verändert das alles nicht.

Während sich die Politik in Berlin noch selber lobt für eine Verhandlung, die gut war, und eine Lösung, die keine ist, ruft der italienische Innenminister die EU zu Hilfe. Aber was soll sie machen, die EU? Alle Schotten dicht, weil hier am Tisch nicht die ganze arme Welt Platz hat? Alle Tore auf, damit das Verhungern und Ersaufen, das Abgeschlachtetwerden ein Ende hat? So leicht lässt sich „das Problem“ nicht nach Brüssel abschieben, auch wenn ein Teil davon dorthin gehört. Die Wirklichkeit ist den internationalen Vereinbarungen ebenso weit voraus wie der nationalen Gesetzgebung.

Manchmal kommt selbst die einfache, pragmatische Menschlichkeit nicht mehr mit. Immerhin hat Italien, wo viele der Flüchtlinge erstmals europäischen Boden betreten, wenn sie es denn übers Mittelmeer schaffen in ihren oft wracken und überfüllten Booten, seine auf See oft tödliche Abschottungspolitik abgeschafft. Aber die anderen Länder Europas haben Italien viel zu lange die Unterstützung versagt.

Europas Flüchtlingsprobleme, die weltweite Auslöser haben, lassen sich nicht von Lokal- und Landespolitikern am Oranienplatz lösen. Aber die unwürdigsten Umstände, zu denen auch ein Zwischenleben in falscher Hoffnung gehört, können sie verbessern helfen. Politische Fehler sind in den vergangenen Monaten reihenweise begangen worden; mangelnde Konsequenz, die unerfüllbare Erwartungen schürt, gehört dazu. Erfüllbar dagegen ist eine Erwartung, die auf dem Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung beruht. Hier wurde angekündigt, was am Anfang die Forderung der Flüchtlinge war und was längst fällig ist: schnellere Verfahren, Lockerung der Residenzpflicht, Entscheidung über die Aufnahme nach spätestens drei Monaten, Arbeitserlaubnis. Noch ist nichts geschehen. Die rot-schwarze Landesregierung muss da jetzt Druck machen. Sie weiß, warum.

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