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Flüchtlingspolitik in der EU: Die Grenzen der Solidarität

Länder wie Deutschland, die nicht an den Außengrenzen der EU liegen, profitieren seit Jahren von der aktuellen Asylgesetzgebung. Diese müsste dringend geändert werden, doch das kostet Geld und Wählerstimmen.

Wie groß muss die Verzweiflung sein, wenn Eltern ihren Kindern das antun: In den Booten, die Lampedusa erreichen, sitzen immer häufiger Minderjährige. Alleine. Weil niemand sie begleiten kann oder sie ohne erwachsene Angehörige höhere Chancen haben, nicht gleich wieder abgeschoben zu werden. Kinder, die in Fischerbooten auf einem Kontinent landen, der ihnen fremd ist. Falls sie nicht vorher ertrinken oder verdursten. Wie gering muss die Hoffnung ihrer Familien sein, einen anderen Ausweg aus dem eigenen Albtraum zu finden?

Das sind die Abgründe der scheinbar abstrakten Statistiken. 3300 Menschen hat die italienische Marine allein am Samstag aus dem Mittelmeer gerettet. Damit sind 2014 schon nach einem halben Jahr so viele Flüchtlinge in Italien gelandet wie im ganzen Jahr zuvor. Auch in Deutschland steigt die Zahl der Asylanträge. Wenn auch prozentual nicht so stark wie in Italien.

Ein Großteil der Flüchtlinge, die an die Küste Italiens gespült werden, sind nach italienischen Angaben Syrer. Sie jagen keinem verrückten Traum nach, haben, anders als viele Wirtschaftsflüchtlinge aus Afrika, gute Chancen auf Asyl. Das Gesetz ist auf ihrer Seite. Wenn sie es in die EU schaffen, denn einen legalen Weg gibt es nicht.

Und mit der Landung sind ihre Probleme nicht vorbei. In Italien, einem Land tief in der Euro-Krise, bekommen nicht einmal die eigenen Bürger Sozialhilfe. Dort drückt man auch den traumatisierten Menschen ein paar hundert Euro in die Hand – das war’s. Davon kann niemand lange leben. Ziehen die Menschen weiter, zum Beispiel nach Deutschland, müssen sie wieder zurück. Denn das Dublin-II-Abkommen regelt, dass der Staat für die Flüchtlinge zuständig ist, auf dessen Boden sie erstmals die EU betreten haben. Die Idee war einmal, so Kettenabschiebungen von einem Land ins andere zu verhindern. Theoretisch funktioniert das auch: Wer heute als Asylbewerber in Europa lebt, der soll auf gleiche Bedingungen stoßen, in Italien und Griechenland wie in Deutschland oder Schweden. Doch in der Realität ist das ein Witz.

Es gab vergangene Woche einen Euro- Gipfel zur Kür oder besser zum Streit um den neuen Kommissionspräsidenten. Es gibt in dieser Woche einen G-7-Gipfel zum Umgang mit Russland. Wieso gibt es keinen Flüchtlingsgipfel, auf dem feste Quoten zur Aufnahme und zur Verteilung von Flüchtlingen beschlossen werden? Weil Dublin II eine bequeme Ausrede für die Länder geworden ist, die nicht an Europas Außengrenzen liegen, Länder wie Deutschland. Die werden die Gesetze nicht ändern. Nicht jetzt, da der Bau von Heimen in vielen Städten schon für Unmut und rechte Proteste sorgt. Wer denkt schon an die Zeiten, in denen östlich von Deutschland noch nicht EU- Gebiet war. 1992 suchten fast 440 000 Flüchtlinge in Deutschland Schutz und das Land plädierte für eine Quotenregelung. Appellierte an die Solidarität der anderen EU-Staaten. Der „Rekord“ seit der Einführung von Dublin II lag im vergangenen Jahr bei 127 000 Asylanträgen.

Flüchtlinge kosten Geld – und Stimmen bei Wahlen. Niemand will, dass Menschen ertrinken. Aber nicht alle bekommen die Geretteten auch gerne vor der eigenen Haustür abgesetzt. Flüchtlinge sind das, was man im euphemistischen Europa-Sprech als „Herausforderung für die Zukunft“ bezeichnet. Sie brauchen Europa und Europa braucht sie nicht – zumindest kurzfristig gedacht. Dass es einem Bündnis, das den Friedensnobelpreis bekommen hat, gut zu Gesicht steht, andere in ihrem Elend nicht umkommen zu lassen, dieser Wert lässt sich nicht so einfach in Euro umrechnen. Dass das Flüchtlingsproblem die einzelnen Staaten an ihre Grenzen bringt, ist kein angenehmes Thema in einer Zeit, in der viele die Kompetenzen in Brüssel lieber einschränken als ausweiten wollen.

Was stattdessen passiert: Deutschland will die Liste der „sicheren Drittstaaten“ erweitern. Wer auf der Flucht solche Länder durchquert, kann von Deutschland dorthin abgeschoben werden. Das wird die Zahlen senken. Hier bei uns.

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