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Mehr Kontrollen, womöglich Schießbefehle in Deutschland. Durch Kontingente will die CSU den Zug der Flüchtlinge - hier an der dänisch-schwedischen Grenze - begrenzen.

© Reuters

Flüchtlingspolitik: Zurück auf der Matte

Zauberwort Flüchtlingskontingente: Setzt die CSU die Kanzlerin damit weiter unter Druck? Vielleicht baut sie ihn jetzt selbst auf. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Ein schönes neues Wort bereichert die Flüchtlingsdebatte: Kontingent. Was das Wörterbuch darunter versteht, lässt sich nachschlagen; wichtiger wird sein, wie die Politik es übersetzt. Und da gibt es bereits ein paar Lesarten.

Obergrenze - eine Worthülse wird gefüllt

Die bayerische ist die, alten Wein in neue Schläuche zu füllen – oder in neu etikettierte Flaschen. Wir sagen Ja zum Kontingent, aber da Deutschland eh schon überlastet ist, kann das nur heißen: Grenzen dicht. Zu den Konsequenzen – ungarische Verhältnisse, verschärfte Rückverlagerung der Flüchtlingspolitik ins Mittelmeer, vielleicht wieder einmal Schüsse an einer deutschen Grenze? – musste die CSU noch nie Auskunft geben. Die, die sie mit dieser Rhetorik vor sich hertreibt, sind ja vollauf mit Selbstverteidigung beschäftigt. Andeutungen lassen darauf schließen, dass man sich jetzt in München wenigstens bequemt, die Worthülse „Obergrenze“ mit jenen Zahlen auszustopfen, die man aus gutem Grund bisher schuldig blieb. Wir dürfen gespannt sein.

Statt junger Männer Alte und Kranke?

Die andere Lesart von „Kontingent“ ist die offiziell sozialdemokratische, mutmaßlich auch die der Kanzlerin. „Frauen und Kinder zuerst“, sagt dazu SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel, das Asylrecht bleibt dadurch unangetastet. So gelesen ist das Wort nicht neu, sondern internationale Praxis. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen hat lange Erfahrung damit, wenn ein Land erst einmal Kontingente zugesagt hat, die dafür infrage kommenden Flüchtlinge in den Lagern, im konkreten Fall der Nachbarländer Syriens, auszuwählen.

Das hieße, die Entscheidung, wer kommt, nicht mehr dem blinden Zufall und der Widerstandsfähigkeit, der Jugend und Gesundheit der Kommenden zu überlassen. Auch das steckt schließlich hinter der viel beraunten und misstrauisch kommentierten Tatsache, dass viele junge Männer kommen: Sie sind tendenziell weniger massiv sexualisierter und anderer Gewalt ausgesetzt oder ihre Familien treffen die traurige Entscheidung, lieber sie als die Töchter einer brutalen Weiterflucht auszusetzen.

Die Aikido-Kämpferin im Kanzleramt

Statt ihrer kämen nach der Logik des UNHCR vor allem die Angehörigen sogenannter verletzlicher Gruppen: Alte, Folter- und Vergewaltigungsopfer, Kranke, die weder in der Heimat noch im Transitland, etwa Libanon oder der Türkei, behandelt werden können. Ob München das besser findet? Auch darauf darf man gespannt sein.

Jenseits der moralischen Qualität solcher Aufnahmeprogramme: Angela Merkel könnte durch die Unbestimmtheit des Kontingentbegriffs etwas vom Druck ableiten, der gerade auf ihr liegt – und die, die sie unablässig attackieren, zum Liefern zwingen. Kontingente – hier habt ihr sie. Sie passen nicht? Nennt die Alternative.

Die aggressive Energie des Gegners gegen ihn selbst wenden, ist nun mal Merkels stärkste Disziplin. Die Aikido-Kämpferin im Kanzleramt stünde wieder fest auf der Matte. Auch im anderen Spezialfach hätte sie das Besteck wieder in der Hand: große Probleme in handliche Portionen hauen. Kontingente wären eine dieser verdaulicheren Portionen.

Ob das das Ende der Flüchtlingshysterie und der Beginn einer Re-Rationalisierung wird – auch darauf sind wir gespannt.

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