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Föderalismus: Aus 16 mach’ eins

In der Theorie ist Föderalismus ein attraktives System, doch die Praxis sieht anders aus. Von der Bildung über die Landesbanken bis zu Ehec: Warum der Föderalismus schadet.

Es ist ein Ritual, das beinahe jedes Jahr wiederkehrt. Ob Dioxin im Tierfutter, Gammelfleisch im Döner, Rinderwahn im Steak oder nun Keime im Gemüse – jeder Lebensmittelskandal offenbart ein wildes Durcheinander der Zuständigkeiten. Institute, Ämter und Behörden aus fast jedem Bundesland spüren der Gefahr nach, Dutzende Minister samt ihrer Stäbe versuchen, daraus politisches Kapital zu schlagen. Jeder ist zuständig, alle dürfen mitreden – und wenn am Ende die Aufklärung eher gebremst als beschleunigt wird: egal! So deutlich wie keine Krise zuvor zeigt die Ehec-Epidemie, welche Blüten der deutsche Föderalismus treibt und welchen Schaden er anrichtet.

Dieses Mal geht es um die Gesundheit von Millionen Bürgern, ihr höchstes Gut. Mit ihrem zweithöchsten, dem Geld, ist das in 16 Länder aufgespaltene Gemeinwesen verschwenderisch umgegangen. Milliarden haben die Landesbanken in der Finanzkrise verheizt, weil eitle Ministerpräsidenten das große Rad drehen wollten.

Und der Föderalismus wird eine teure Angelegenheit bleiben – schon wegen des Schul-Chaos, das Tausende verschiedene Lehrpläne und Dutzende Ausbildungswege zum Lehrer-Beruf anrichten. Gerade die Bildungs-Kleinstaaterei zeigt, wie sehr das Nebeneinander der Länder die Republik daran hindert, sich auf die Zukunft einzustellen. Wenn Schüler in Bremen oder Brandenburg schlechter ausgebildet werden als in Bayern oder Baden-Württemberg, verschwendet der Staat nicht nur die Ressource Wissen. Er produziert auch zutiefst inhumane Ergebnisse.

In der Theorie ist Föderalismus ein attraktives System: Im Wettbewerb der Regionen setzen sich die besten Konzepte durch, die Subsidiarität mehrt das Wohl aller. Die Praxis sieht anders aus. Nicht nur, weil der Länderfinanzausgleich die Ergebnisse der Konkurrenz einebnet. Hinzu kommt die Beharrungskraft der Bürokratie – ihretwegen gibt es für die eine Million Bürger des Saarlands acht Landesministerien und für die 548 000 Bürger Bremens einen eigenen Rundfunksender. Nah am Menschen ist die Struktur trotzdem nicht – Bund und Länder verfrühstücken das meiste Geld für sich, bei den Kommunen kommt zu wenig an. Auch deshalb verfallen Kitas, Schwimmbäder und Straßen.

In seiner derzeitigen Verfassung läuft das föderale System Gefahr, an sich selbst zu scheitern. Dazu genügt ein Blick auf das ewige Gegeneinander von Berlin und Brandenburg, trotz mancher Annäherung in jüngerer Zeit. Warum müssen in einer globalisierten Welt, in der Staaten und Kontinente in Konkurrenz stehen, ausgerechnet Regionen gegeneinander arbeiten?

Bundesländer sind wichtig, ihre Wurzeln reichen hunderte Jahre zurück. Sie sichern Vielfalt in der Einheit, die Wahrung landsmannschaftlicher Traditionen. Die Zukunft gehört aber weniger Wiesbaden, Schwerin oder Kiel, sondern zentraleren Strukturen wie in Frankreich. Deutschland muss nicht mehr mittels Dezentralität vor sich selbst geschützt werden. Und der nächste Lebensmittelskandal kommt bestimmt.

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