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Meinung: Frei hinein – und frei heraus

Abdul Rahman, der zum Christentum konvertierte Muslim, ist noch einmal mit dem Leben davongekommen. Aber kann man deshalb schon sagen: Ende glimpflich, alles gut?

Abdul Rahman, der zum Christentum konvertierte Muslim, ist noch einmal mit dem Leben davongekommen. Aber kann man deshalb schon sagen: Ende glimpflich, alles gut? Nein, denn immerhin muss sich Rahman nun erst einmal vor möglichen islamischen Racheengeln verborgen halten. Und dass er sein Leben der rein taktischen Justiz-Behauptung verdankt, er sei nicht ganz zurechnungsfähig, ist der reinste Spott auf die Menschenwürde. Deshalb einige Hinweise zur Wachsamkeit:

Erstens: Der „Westen“ kann den Rest dieser Affäre nicht mit Schulterzucken übergehen, denn er trägt durch sein Eingreifen in Afghanistan Mitverantwortung für dessen Folgen. Die afghanische Verfassung nennt zwar die Religionsfreiheit, aber da sie das Land als eine islamische Republik konstituiert, zudem den Islam zur Staatsreligion erklärt und überdies festlegt, dass kein Gesetz der „heiligen Religion des Islams“ widersprechen darf, gibt es allen Grund darauf zu achten, dass die Religions- und (nota bene) die Geistesfreiheit nicht ein leeres Wort bleiben. Und das betrifft nicht nur den einen Konvertiten (bei dem sich dann unser allerchristlichstes Gewissen oder Vereinsbewusstsein regt), sondern auch Millionen von Afghanen. Wissen wir denn, wie viele afghanische Muslime, Männer und vor allem Frauen, unter der Knute von militanten Religionswächtern leiden?

Zweitens: Man mag uns noch so laut versichern, dass der Koran selber keine Todes-, ja nicht einmal eine zeitliche Strafe für den Glaubensabfall, für den Apostaten vorsieht. Aber solange das auf dem Koran aufbauende islamische Recht, unterstrichen zum Beispiel durch eine Fatwa der ägyptischen Al-Ahzar-Universität aus dem Jahr 1978, die Apostaten mit der Todesstrafe bedroht und dies in Ländern wie in Saudi-Arabien, in Iran, in Jemen, in Sudan, in Katar, in Pakistan, in Mauretanien auch so gehandhabt und in den verständlicherweise seltenen Fällen auch vollzogen wird, ist die papier-theologische Auskunft noch ein Muster begrenzten Wertes. Dass sich die islamische Rechtslehre sich dabei auf eine Aussage, ein Hadith, des Propheten Mohammed stützt („Tötet denjenigen, der seine Religion wechselt"), macht die Sache nicht besser.

Drittens: Wir haben es zwar nicht mit einem Kampf der Religionen zu tun, denn zu einem Kampf gehören mindestens zwei Parteien, aber durchaus mit einem clash, mit einem Zusammenstoß der Religionen. Diesen gibt es übrigens nicht etwa, weil sich der Islam sehr gewandelt hätte, sondern weil das Christentum (bis vor einiger Zeit selber kontaminiert durch weltliche Herrschaft und dienstbare Anpassung an dieselbe) endlich, endlich die positive wie negative Religionsfreiheit als Ausdruck der Menschenwürde ebenso akzeptiert hat wie die Trennung zwischen staatlicher Macht und geistlicher Vollmacht. Angesichts seiner Geschichte hat sich das Christentum vor Selbstgerechtigkeit zu hüten, nun aber diesen Gewinn an personaler Würde und Gewissensfreiheit unverkürzt zu verteidigen, auch gegenüber anderen Religionen. Für die mehr oder weniger Gebildeten unter seinen Verächtern gilt natürlich dasselbe.

Viertens: Die Religionsfreiheit gilt bei uns für alle Religionen – innerhalb der freiheitlichen Verfassung, unabhängig davon, ob Angehörige „unserer“ Religionen in den Ländern „anderer“ Religionen die gleiche Freiheit genießen. Sie gilt nach der Formel „free in, free out“ – der Beitritt zu wie der Austritt aus einer Glaubensgemeinschaft muss also ein absolut freier Akt des persönlichen Gewissens sein und bleiben. Religiöse Instanzen und Gemeinschaften, die das nicht akzeptieren, haben ihr Recht hierzulande, wie alle Feinde der Freiheit, verspielt – und können anderswo unsere Freunde nicht sein.

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