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Meinung: Freibeuter der Weltanschauung

Warum Jugendweihen in den neuen Ländern weiter so populär sind

Von Matthias Schlegel

Zuverlässig wie die Knospen brechen sie in jedem Frühjahr in den neuen Bundesländern wieder auf: die Rivalitäten zwischen den Veranstaltern von Jugendweihen und den Kirchen als Organisatoren von Konfirmationen und Einsegnungen. Das DDR-Ritual für die hochoffizielle Aufnahme der Jugendlichen in die Lebenswelt der Erwachsenen haben weder die knochentrockenen Treueschwüre für den Sozialismus noch die sterbenslangweiligen, ideologiebefrachteten Jugendstunden diskreditieren können. Mehr als 95 Prozent der Achtklässler ließen sich zu DDR-Zeiten den realsozialistischen Ritterschlag verleihen. Nur eine Minderheit trat ein Jahr später noch einmal mit dem Rest der konfessionellen Altersgenossen vor den Altar, um sich dazu noch den kirchlichen Segen zu holen - was durchaus möglich war und für die Karriereplanung allemal günstiger als die alleinige kirchliche Variante.

Als die Mauer fiel, schienen sich viele von dem staatstragenden kollektiven Erlebnis abzuwenden. Die Zahl der Feiern ging zurück, doch schlug sich das nicht in gleichem Maße zu Gunsten der Konfirmationen oder Einsegnungen nieder. Im weithin säkularisierten Osten drohte an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugendzeit plötzlich ein rituelles Vakuum zu entstehen. Eltern erinnerten sich wehmütig ihres eigenen pubertären Hochgefühls im standardisierten „Jugendmode"- Kostüm, an die großzügigen Geldgeschenke der Großeltern, den ersten „Sternradio"-Recorder von Papa und Mama und an die schwüle Fete im Kreise der Gleichaltrigen oder der Familie nach der offiziellen Feier. Warum das unserem Kind vorenthalten? So fragten viele Eltern mit einem Anflug ostalgischen Trotzes.

„Es war doch nicht alles schlecht" – zum Leidwesen der Kirchen griffen diverse Jugendweihe-Vereine und der Humanistische Verband die verbreitete Stimmung auf und befreiten das Erbe vom Schimmel der sozialistischen Ideologie. Sie suchten historisch unverdächtige Vorläufer: die nicht religiösen Mündigkeitsfeiern der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die erstmalige Verwendung des Begriffs „Jugendweihe" bei einer Feier im Jahre 1852 in Nordhausen. Der Humanistische Verband, der seine Wurzeln in der Freidenkerbewegung hat, meidet im übrigen den ramponierten Begriff und spricht von Jugendfeiern.

Heute ist die Jugendweihe im Osten Deutschlands zwar nicht wieder das, was sie mal war, aber rein zahlenmäßig auf dem besten Weg dorthin. Rund 50 Prozent der 13- bis 14-Jährigen, so die Schätzungen, lassen sich wieder feiern. In Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sprechen die Veranstalter gar von zwei Dritteln dieser Altersgruppe. Zehntausende sind das in diesem Jahr.

Vielerorts werden die Feiern in den Klassenverbänden organisiert, mit oder ohne Zutun freier Träger. Für den Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, ist das nicht akzeptabel. Jugendweihe sei eine „weltanschauliche Veranstaltung, die nicht ins Klassenzimmer gehört". Hinter solchem Insistieren verbirgt sich freilich das in den vergangenen Jahren gewachsene Unbehagen der Kirchen darüber, dass die junge Generation im Osten Deutschlands nicht in dem Maße in den Schoß der Kirche – zurück? – findet, wie man es erhofft hatte, nachdem die atheistische Erziehung durch Kindergarten und Schule beseitigt war.

Angesichts sinkender Mitgliederzahlen und finanzieller Probleme der Kirchen erscheint dies als verständlicher Reflex auf die ungebremste Popularität der Jugendweihe. Veranstalter solcher Feiern werden von den Kirchen als eine Art Freibeuter im weltanschaulich desorientierten Osten betrachtet. Im gefestigten altbundesdeutschen Milieu konnten sie nicht mit Erfolg agieren, ja, setzten sich gar dem Verdacht aus, von kommunistischer Ideologie infiltriert zu sein.

Können die geistig-moralischen Angebote derjenigen, die Jugendweihen anbieten, tatsächlich mit dem ethischen Anspruch und Auftrag der Kirchen konkurrieren? Diese Frage stellt sich kaum einer in der Alltagsrealität im Osten. Die ist viel banaler: Zu den Jugendweihen schicken viele Eltern ihre Kinder genauso gern, wie sie sie an Weihnachten zur Christvesper mit in die Kirche nehmen. Es gehört einfach dazu.

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