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Im September war Hosni Mubarak zu Gast im Bundeskanzleramt bei Angela Merkel. Über Jahrzehnte war er der Verbündete des Westens in der arabischen Welt.

© dpa

Freiheit plus Stabilität: Ägypten und wir

Nein, Mitleid hat Mubarak nicht verdient. Der Despot gehört abgesetzt. Aber der Preis dafür kann hoch sein, zumindest muss er mitbedacht werden. Ein Kommentar.

Er hielt am Frieden mit Israel fest, die Islamisten in Schach und den Suezkanal offen. Im zweiten Golfkrieg 1991 schlug er sich auf die Seite derer, die im Auftrag der Vereinten Nationen Krieg gegen Saddam Hussein führten. All das war im eigenen Land wie in der arabischen Welt höchst unpopulär. Sechs Attentatsversuche überlebte Hosni Mubarak, der Ägypten dreißig Jahre lang als verlässlicher Partner des Westens regiert hatte. Nun ließ ihn die US-Regierung innerhalb weniger Tage fallen. Plötzlich nimmt sie Freiheit wichtiger als Stabilität. Ist Undank der Politik Lohn?

Bitte kein Missverständnis: Mitleid hat Mubarak nicht verdient. Der Despot gehört abgesetzt. Wo immer auf der Welt Rufe nach Freiheit erklingen, muss der Westen sie wie durch ein Megaphon verstärken. Aber der Preis dafür kann hoch sein, zumindest muss er mitbedacht werden. In diesem Fall heißt er: Andere proamerikanische Herrscher im Nahen und Mittleren Osten – von Jordanien über Pakistan bis Saudi-Arabien – werden womöglich auf größere Distanz zu den USA gehen. Sie sind geschockt vom radikalen Sympathieentzug, den Mubarak erfuhr. Sie haben verstanden, dass amerikanische Solidarität begrenzt ist.

Das Mitbedenken von Konsequenzen gehört zur Pflicht verantwortlich handelnder Politiker. Die Euphorie, die von den Bildern der Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo überspringt, darf nicht blind machen für unerwünschte Nebenwirkungen dieser Revolution. „In der Hoffnung“, schreibt Hannah Arendt, „überspringt die Seele die Wirklichkeit, wie sie in der Furcht sich von ihr zurückzieht.“ Es muss möglich sein, die Risiken zu benennen – drohendes Machtvakuum in Ägypten, sich radikalisierende Muslimbrüder, weitere Entfremdung der Atommacht Pakistan –, ohne automatisch verdächtigt zu werden, den Freiheitsdrang der Demonstranten zu wenig zu würdigen. Andererseits darf die Angst vor der offenen Dynamik des Prozesses nicht den Blick verstellen für neue Chancen.

Falsch sind außerdem Selbstgerechtigkeit und Selbstgeißelung. Jeder Interessierte wusste, dass in Ägypten gefoltert wurde, dass es dort weder einen Rechtsstaat gab noch Demokratie. Doch im Beschweigen dessen waren alle vereint, von links bis rechts. Sich jetzt zu mokieren über die roten Teppiche, die man Mubarak ausbreitete, ist billig. Wer das tut, muss sich die Frage gefallen lassen, warum er selbst nicht früher aufstand und protestierte. Und wer aus den Ereignissen zerknirscht die Lehre zieht, der Westen dürfe in Beziehungen zu anderen Staaten nie wieder „seine Werte verraten“, muss sich gut überlegen, ob er künftig noch sauberes Erdgas aus Russland beziehen, Autos an China verkaufen und kubanische Zigarren rauchen möchte. Lupenreine Demokratien sind weltweit leider die Ausnahme, nicht die Regel.

Stabilität ohne Freiheit tendiert zur Diktatur, Freiheit ohne Stabilität zur Anarchie. Es bleibt die Aufgabe jeder wertorientierten, gleichwohl pragmatischen Politik, sowohl die Freiheit als auch die Stabilität zu fördern. Eine Entweder-Oder-Haltung mag verführerisch sein, aber sie suggeriert eine Spannungsfreiheit, die es nicht gibt. Ja, wir wollen, dass in Ägypten die Demokratie einzieht. Nein, wir wollen nicht, dass die neue Herrschaft zu größerer Gewalt oder neuer Unterdrückung führt. Das sind keine gegensätzlichen Ziele, sondern schlicht die Gebote der Stunde.

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