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Meinung: Freiheitsmärchen für 1001 Nacht

Arabischer Gipfel: Die Völker sind in Bewegung, die Staatschefs bremsen

Von Frank Jansen

Das Gipfeltreffen der Arabischen Liga heute in Algier fällt in eine Zeit des Umbruchs, der fasziniert. In Libanon demonstrieren Hunderttausende für ein Ende der syrischen Bevormundung. In Marokko hat König Mohammed VI. eine Reform des Familienrechts eingeleitet, Ägypten und Saudi-Arabien probieren vorsichtig erste Schritte auf dem Weg zu freien Wahlen. Von Katar aus strahlt der Fernsehsender Al Dschasira sein weitgehend unabhängiges Programm in die arabische Welt. Wie wird sich nun die Arabische Liga zu den vielfältigen Signalen des Aufbruchs verhalten?

Die Gipfeltreffen arabischer Spitzenpolitiker sind üblicherweise keine Demonstration eines dynamischen Aufbruchs. Das wird auch diesmal nicht anders sein, zumal wichtige Staatschefs nicht nach Algier kommen. Das von korrupten Militärs regierte Algerien wird kaum zu mehr Demokratie inspiriert. Es wäre aber schon viel erreicht, wenn die Teilnehmer bei dem heikelsten Thema, der Emanzipation Libanons, darauf verzichten würde, Syrien den Rücken zu stärken. Wenn doch, könnte bei den Syrern und ihren Verbündeten in Libanon die Neigung zunehmen, eine Strategie der Spannung zu versuchen – um den Bedarf an syrischen „Friedensstiftern“ unter Beweis zu stellen.

Die Explosion einer Autobombe am Sonnabend in Beirut war offenkundig ein „Hinweis“ an die Adresse der Syrien-Gegner. Ihre Erfolge machen die Anhänger des Regimes in Damaskus nervös: Es gehen deutlich mehr Libanesen auf die Straße, die einen raschen Abzug der Syrer fordern, als Anhänger der prosyrischen Hisbollah. Außerdem hat US-Präsident George W. Bush kürzlich demonstrativ den Patriarchen der maronitischen Kirche empfangen, Nasrallah Sfeir. Der alte Kardinal ist der hartnäckigste Streiter für einen freien Libanon. Und Sfeirs Verbündeter, Drusenfürst Walid Dschumblatt, erhielt bei einer Reise durch Europa und Ägypten moralische Unterstützung. Syrien steckt in der Defensive. Da sollte die Arabische Liga beim Gipfel in Algier nicht das Gegenteil signalisieren.

Täte sie es doch, würde nicht nur die Gefahr eines weiteren Bürgerkriegs in Libanon zunehmen. Es wäre auch zu erwarten, dass der kleine Staat noch länger braucht, sich auf eine demokratische Perspektive zu verständigen. Denn selbst wenn der Abzug syrischer Truppen gelingen und im Mai eine freie Wahl stattfinden sollte, hätte Libanon nur eine Etappe geschafft. Die starre Aufteilung der Staatsämter unter Maroniten, Sunniten, Schiiten, Drusen und anderen Religionsgemeinschaften zementiert die Herrschaft der Clans und der im Bürgerkrieg entstandenen, islamistischen Hisbollah. Eine säkulare Kraft, die nicht an Partikularinteressen gebunden ist, hat in Libanon keine Chance – ob die Syrer im Land gehen oder nicht.

Erstaunlicherweise stellen jedoch selbst die jungen Demonstranten in Beirut, die Freiheit für Libanon fordern, die illiberalen Strukturen kaum in Frage. Und sie vertrauen Politikern, die angesichts ihrer Bürgerkriegsbiografie diskreditiert sein müssten. Wie zum Beispiel Walid Dschumblatt, der auch im Westen als Vorkämpfer der Freiheit gilt.

Es war Dschumblatts Drusenmiliz, die 1983 als Vergeltung für einen Angriff maronitischer Kämpfer das Schuf-Gebirge ethnisch säuberte – mehr als 100 000 Christen wurden vertrieben. Die Verbrechen anderer Politiker sind kaum weniger grausig. Da wäre der prosyrische Schiit Nabih Berri, heute Parlamentspräsident. Die von Berri geführte Amal-Miliz belagerte mehrere Palästinenserlager, viele Menschen starben. Und alle Kriegsparteien nahmen Geiseln. Die meisten tauchten nie wieder auf. Doch kein einziger Warlord musste sich vor einem UN-Tribunal rechtfertigen. Bis auf den christlichen Milizführer Samir Geagea stand auch keiner vor einem libanesischen Gericht.

Die einzige unbelastete Führungsfigur nach dem Krieg war der im Februar ermordete Ex-Premier Rafik Hariri. Ist er je zu ersetzen? So lange Libanons Nachkriegsgeneration keine neue politische Klasse hervorbringt, bleibt die Demokratie halbgar. Wann sie reifen kann, hängt auch von Fortschritten in anderen arabischen Ländern ab. Ein Indiz könnten die Ergebnisse des Gipfels von Algier sein.

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