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Das deutsch-polnische Verhältnis ist immer noch ein schwieriges.

© dpa

Freizügigkeit: Die Polen sind schon längst hier

Angst ist gut. Sie macht uns Gefahren bewusst und kann das Leben verlängern. Jeder Hase weiß das. Und jeder Deutsche auch. Aber was ist German Angst?

Was sagt sie darüber aus, wie rational eine Gesellschaft ist. Über ihre Tendenz zu kollektiver Hysterie? Es gibt vier unterschiedliche Formen von German Angst. Angst I beschreibt die Befürchtung, dass man krank werden könnte: vom Rinderwahn bis zum verstrahlten Fuku-Sushi. Hier gerät homo teutonicus am ehesten in Panik. Aber es ist auch die rationalste Sorge: Strahlung kann einen schließlich wirklich umbringen.

Was mich am meisten beunruhigt sind die anderen Formen der Angst, weil sie das Land in Richtung Neurose, schlechter Entscheidung und erratischer Politik treiben. Das ist gerade zu beobachten. Angst II ist die Angst, Verantwortung zu übernehmen, auf Forderungen anderer zu reagieren.

Ausländer denken bisweilen, dass die Deutschen feige sind, weil sie sich dagegen wehren, Soldaten einzusetzen. Oder übervorsichtig sind beim Schutz ihrer Truppen. Oder nervös, dass sich die Geschichte wiederholen könnte. Aber darum geht es gar nicht, oder? Sondern um das deutsche Gefühl, dass die Welt zu viel verlangt, um ein Land, das alleine gelassen werden will, und um die Angst, die daraus folgt. Ich habe mal ein nettes junges Paar in Frankfurt besucht. Es war Sonntagnachmittag, es läutete an der Tür. Durch den Spion sahen sie die ungeliebte Mutter von ihr. Sie flüsterten mir zu, mich auf den Teppich zu legen – die Wohnung war im Erdgeschoss. Eine halbe Stunde versteckten wir uns so, still, hinter dem Sofa. Ein englisches Paar hätte die Tür aufgemacht, Fröhlichkeit vorgetäuscht (und vielleicht eine Verabredung vorgeschoben). Ein Däne hätte ihr gesagt zu verschwinden. Die Deutschen haben sich versteckt.

Angst III betrifft Armut: Angst davor, Geld zu verlieren, oder vor der Inflation. Bei Angst IV geht es um die Sorge, Wohlstand teilen zu müssen. Deshalb befinden wir uns derzeit in einer besonderen Phase, in der alle nationale Neurosen zusammenkommen: die langsame Verbreitung der Strahlung in Japan (plötzlich kriegt man bei Kuchis in der Kantstraße immer einen Platz); Libyen und Afghanistan (die Werbekampagne der Bundeswehr kommt zur Unzeit: degoutanter Guttenberg, Ende der Wehrpflicht, die Verachtung der Nato für Deutschlands Fluchtverhalten); die Euro-Schmelze und der Goldrausch. Und nun, zur Krönung, die Invasion der Polen. Ab Montag können Zentral- und Osteuropäer im Zuge ihrer EU-Mitgliedschaft in Deutschland arbeiten. Redet man mit dem Mann in meinem Lotto-Laden, könnte man denken, die Polen seien eingeladen, deutsche Babies aufzuessen. 20 Jahre nach der Wiedervereinigung und sieben Jahre nach der EU-Erweiterung ist das Verhältnis vieler Deutscher zu den Polen sowohl von Verachtung als auch von tiefem Misstrauen geprägt.

Die britische Erfahrung gibt den Deutschen in einer Beziehung recht: Es werden mehr Osteuropäer kommen als vorhergesagt. In Großbritannien rechneten wir mit 13 000 arbeitssuchenden Polen. Drei Jahre später waren es 720 000 – aber der von der Boulevardpresse angekündigte Albtraum blieb aus. Die Polen waren gute Arbeiter, die lauter Lücken geschlossen haben, in Krankenhäusern, Seniorenheimen, alles mögliche. Und Großbritannien veränderte sich: Die Kirchen waren wieder voll; in den Geschäften gab es polnische Spezialitäten; in Nordirland heuerte die Polizei Polen an; einige Politiker lernten Polnisch. Es gab Spannungen, aber am Ende profitierten Gastgeber und Gäste.

Nun kündigt die Bundesagentur für Arbeit 140 000 Osteuropäer an. Vielleicht werden es viel mehr. Aber was gibt es zu befürchten? Die deutsche Wirtschaft ist inzwischen beweglich genug, um anpassungsfähige, intelligente, enthusiastische Arbeiter aufzunehmen. Woher kommt die Angst?

Manchmal treffe ich spät nachts, wenn ich nicht schlafen kann, meinen polnischen Freund Ziggy in dem 24-Stunden-Schachcafé Belmont in der Kurfürstenstraße. „Ich kann nun legal werden“, sagt Ziggy, der in Berlin dies und das im Filmgeschäft macht, „aber damit beginnen die Probleme.“ Es steht keine Invasion der Polen bevor. Sie sind bereits hier. Aber nächste Woche können sie Steuerzahler werden – und eine gerechte Behandlung durch ihre Arbeitgeber verlangen. Ziggy ist nicht der einzige Pole in der Stadt, der meint, die neue „Freizügigkeit“ könnte anti-polnische Gefühle wecken. Warum? „Die Deutschen fürchten nicht, dass wir ihre Jobs wegnehmen“, sagte er und machte einen Zug, der mich matt setzte, „sondern dass wir erfolgreicher als sie werden und ihre Schwächen bloßlegen.“ „Das ist rational“, antwortete ich. „Nein, ist es nicht“, sagte er, „ist es nie“.

Aus dem Englischen übersetzt von Moritz Schuller.

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