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Friedensnobelpreis an die EU: Die neueste Mode in Oslo

Fünf norwegische Politiker im Gespräch: Warum die EU den Nobelpreis gewonnen hat.

Nachdem sie bereits mehrfach nominiert war, erhält die Europäische Union am Montag den Friedensnobelpreis – für ihren Beitrag zum Frieden zwischen Deutschland und Frankreich sowie ihren Einfluss auf die erfolgreiche Demokratisierung in Süd-, Mittel- und Osteuropa. Allein: Keines dieser Ereignisse fand im Jahr 2012 statt. Selbst wenn diese Leistungen tatsächlich der EU anzurechnen sind, wirkt der Preis etwas deplatziert, wenn zur gleichen Zeit Millionen EU-Bürger unter den harten Sparmaßnahmen zur Rettung der Euro-Zone leiden. Die historischen Errungenschaften, für die der Preis verliehen wird, und die aktuelle Schieflage in Europa veranlassen zu der Frage: Warum ausgerechnet jetzt?

Um das zu beantworten, muss man die norwegische Innenpolitik verstehen. Norwegen ist kein Mitglied der EU. In beiden Beitrittsreferenden, 1972 und 1994, gewannen die EU-Gegner knapp. Seit jenem ersten Referendum ist die Frage eines Beitritts ein steter Zankapfel in Norwegen. Paare ließen sich scheiden, Geschwister sprechen nicht mehr miteinander, und die Zurschaustellung einer EU-Flagge kann leicht zu Übergriffen führen. Es gibt fest etablierte Ja- und Nein-Bewegungen – mit jeweils parteiübergreifender Anhängerschaft und weitverzweigter Basisorganisation.

Kein Wunder, dass in Norwegen selbst genau hingeschaut wurde, wie das fünfköpfige Gremium, das über den Preisträger entscheidet, zu seiner Wahl gekommen ist. Das Komitee wird vom norwegischen Parlament gewählt und besteht aus pensionierten Politikern, die das politische Machtgleichgewicht im norwegischen Parlament spiegeln. Von den fünf Mitgliedern des Komitees vertritt aber nur eines eine Partei, die eine EU-Mitgliedschaft Norwegens strikt ablehnt. Aber wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk Norwegens sich beeilte mitzuteilen, war dieses Mitglied – Ågot Valle – am Tag, als das Komitee seine Entscheidung fällte, krank. Auf Nachfrage erklärte sie, dass sie nicht für die EU gestimmt hätte. Dies hatte einen öffentlichen Aufschrei in Norwegen zur Folge. Es wurde der Vorwurf laut, dass die Euro-Skeptiker von den Pro-Europäern an der Nase herumgeführt worden sein.

Ein anderes, aber nicht minder zynisches Szenario stellt ebenfalls auf das Timing der Preisverleihung ab. Demzufolge waren es die Euro-Skeptiker, die einen Sieg über die Pro-Europäer davongetragen haben. Diese Lesart beruht auf dem großen Respekt, den viele Norweger dem Friedensnobelpreis und seinen Trägern entgegenbringen. Der EU den Friedensnobelpreis zu verleihen, könnte viele Norweger von den Verdiensten der Union überzeugen und eventuell die Zustimmung zu einer Mitgliedschaft Norwegens erhöhen. Allerdings befindet sich der Anteil der Beitrittsbefürworter in Norwegen derzeit auf einem historischen Tiefpunkt. Und so haben sich die norwegischen Euro-Skeptiker vielleicht gedacht, dass es keine schlechte Idee wäre, der EU in diesem Jahr den Preis zu geben – besser als später, wenn es für die norwegische Innenpolitik von größerer Relevanz wäre.

Beide Szenarien zeigen, dass die Entscheidung des Friedensnobelpreiskomitees in hohem Maße von der norwegischen Parteipolitik und der öffentlichen Meinung beeinflusst war. Darüber scheinen sich viele Menschen außerhalb Norwegens nicht im Klaren zu sein – oder es ist ihnen gleichgültig. Ebenso wenig gibt es Kritik daran, wie die Kür des Preisträgers organisiert ist. Nach dem Willen Alfred Nobels muss das fünfköpfige Komitee vom norwegischen Parlament bestimmt werden. Verändern ließe sich daher nur die Praxis, ehemalige norwegische Politiker zu wählen. Warum verlangen wir nicht, dass das Gremium vollständig aus früheren Preisträgern bestehen muss? Dies würde das Komitee auf einen Schlag internationalisieren. Dafür müsste das norwegische Parlament seinen Brauch allerdings freiwillig ändern – ohne Druck von innen oder außen ist das unwahrscheinlich. So lange spiegelt der Friedensnobelpreis lediglich die neueste Mode in Oslo, genau wie die Oscars die neueste Mode in Hollywood repräsentieren. Wir können einen solchen Preis wertschätzen und die Preisträger feiern, aber wir sollten den Hintergrund im Auge behalten, vor dem er verliehen wird.

Pieter de Wilde ist Politikwissenschaftler und arbeitet am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Der Text ist die gekürzte Version eines Artikels für die „WZB-Mitteilungen“.

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