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Meinung: Frisch vom Rost

Der Schriftsteller Hans Christoph Buch bekennt seine Mitschuld am Grass-Gedicht.

Es ist Sommer, und manchmal passieren selbst in dieser Jahreszeit unerhörte Begebenheiten, ja, vielleicht Weltbewegendes, wenigstens Literaturweltbewegendes. Der Schriftsteller und Weltreisende Hans Christoph Buch war zu Gast erst bei Günter Grass in Behlendorf bei Lübeck und dann bei Martin Walser in Nussdorf am Bodensee, und er hat jetzt in der „Frankfurter Rundschau“ wortreich Bericht über diese Besuche erstattet.

Bei Grass gab es Wein, Räucherfisch und eine Weihnachtsgansskulptur, „knusprig gebacken wie frisch vom Rost“, hier saß Buch zusammen mit dessen Frau Ute und dem Berliner Schriftstellerkollegen Peter Schneider. Und bei Walser gab es Kaffee und Aprikosenkuchen, von Walsers Frau Käthe serviert. Zunächst nichts Ungewöhnliches also. Der 1944 geborene Hans Christoph Buch erinnert sich hier ein bisschen und erzählt dort ein Anekdötchen, er kennt Grass und Walser ja schon seit den ruhmreichen Tagen der Gruppe 47. Er weiß, wovon sie sprechen, wenn es zum Beispiel um Siegfried Unseld geht, und wie sie Großschriftsteller wurden – zu einem „Dinosaurier der Literatur“ der eine und der andere irgendwie auch. Es versteht sich dabei von selbst, dass Hans Christoph Buch mindestens auf Augenhöhe mit den beiden ist.

Und auf so einer Höhe darf man dann nicht nur in die Werkstatt des Kollegen Grass schauen und sich von dem Kollegen Walser mehrmals wissend in die Rippen boxen lassen und dessen Roman „Ein springender Brunnen“ kurzerhand „springender Quell“ nennen. Sondern da darf, nein, da muss einer auch schon mal zugeben, an Grass’ vorletzter Großtat, nämlich seinem Israel-Iran-Gedicht „Mit letzter Tinte“, wie Buch es nennt, „nicht ganz unschuldig“ zu sein: „Denn wir äußerten Sorge über die Kriegsgefahr zwischen Israel und Iran und vermittelten Grass das Gefühl, er renne offene Türen ein.“

Zu dem Gedicht, das im Übrigen „Was gesagt werden muss“ heißt, sei „(fast) alles gesagt“, fährt Buch fort. Das aber wohl eben doch nicht: dass er und Peter Schneider ihren gehörigen Anteil daran tragen, quasi Geburtshelfer sind, und dass die Welt, na gut, wenigstens die Literaturwelt genau das jetzt bitte schön zur Kenntnis nehmen möge. So viel Eitelkeit muss sein – selbst wenn diese bekenntnishaften Charakter hat, sie nicht frei von sadomasochistischen Zügen ist, hat Grass für sein Gedicht doch viel einstecken müssen. Und wie es sich so ergibt, wenn alte Weggefährten und Gedichteproduzenten und Türeinrenner und arme Medienzielscheiben sich bei Wein, Räucherfisch und knusprigen Weihnachtsgansskulpturen treffen: Man einigt sich darauf, „dass früher alles besser war: Literaturkritiker waren fair und hatten nicht nur das jeweils letzte Buch, sondern das Gesamtwerk eines Autors im Blick, und Schriftsteller wie Max Frisch oder Heinrich Böll wurden zur moralischen Instanz“.

Nur gut, dass früher vorbei ist, denkt man sich bei so viel Vergangenheitsgedusel – und dass aus Hans Christoph Buch kein Günter Grass und auch kein Martin Walser geworden ist.

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