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Eine buntere Mischung im Europaparlament beeinträchtigt nicht die politische Stabilität urteilte das Verfassungsgericht und kippte die Fünfprozentklausel.

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Fünfprozentklausel gekippt: Ohne Sperren nach Europa

Das Verfassungsgericht kippt die Fünfprozenthürde und verändert so das EU-Parlament. Das Urteil ist aber auch eine Mahnung an den deutschen Gesetzgeber, das Wahlrecht nicht zum eigenen Machterhalt zu missbrauchen.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat ein weises Urteil gesprochen, aber dabei auf eine durchaus hintersinnige Weise der Politik auch ins Stammbuch geschrieben, was die höchsten deutschen Richter von den Kompetenzen des Europäischen Parlaments (EP) halten – nicht viel. Natürlich war das nicht der Zweck des Spruches über die Unzulässigkeit einer Fünfprozentsperrklausel bei der Wahl zum EP. Aber zur Begründung ihres Votums zogen die Richter eben gerade das Faktum heran, dass ein parteipolitischer Flickenteppich im Hohen Haus in Brüssel oder Straßburg mangels fehlender Macht wenig schädliche Auswirkungen haben würde.

In elf der 27 Länder der Europäischen Union gab es bisher Sperrklauseln von fünf oder drei Prozent. Dieser gesetzgeberische Versuch, eine zu große politische Zersplitterung im Europaparlament zu vermeiden, war aus dem jeweiligen nationalen Wahlrecht abgeleitet, so auch und gerade in Deutschland, wo die schlimmen Erfahrungen aus der Weimarer Republik den Wunsch nach Stabilität besonders stark werden ließen. Aber darf man eine in Deutschland vielleicht sinnvolle Regelung auch auf Europa übertragen? Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim bezweifelte das und bekam in Karlsruhe jetzt Recht mit seinem Argument, die Sperrklausel habe bei der Wahl 2009 fast 2,8 Millionen Wählerstimmen wertlos gemacht. Hätte es keine Fünf-Prozent- Hürde gegeben, wären sieben weitere deutsche Gruppierungen mit einem Abgeordneten für Europa präsent gewesen.

Das hätte das Europaparlament nicht lahmgelegt, meinen die Verfassungsrichter. Sie verweisen auf die nachgewiesene Integrationskraft der Fraktionen im Europaparlament, denen es bei jetzt schon 162 dort vertretenen Parteien immer gelänge, die Meinungsbildungsprozesse zu organisieren. Ob da nun noch sieben weitere Gruppe hinzukämen, sei egal, zumal das EP weder eine Regierung wähle noch zur Gesetzgebung der Europäischen Union gleichbleibende politische Mehrheiten vonnöten seien.

Damit ist klargestellt, dass dieses Urteil auf das deutsche Wahlrecht nicht einfach übertragen werden kann. Parlament ist eben nicht gleich Parlament, begründet Karlsruhe. Das eine muss richtig entscheiden, das andere darf wohl ein bisschen mehr spielen, ohne Schaden anrichten zu können. Die Richter in den roten Roben haben aber die Chance genutzt, dem deutschen Gesetzgeber noch einen Nasenstüber zu verpassen. Ausdrücklich sagen sie, dass sie sich als strikter Kontrolleur des Wahlrechts sehen, damit sich die jeweilige Mehrheit der Abgeordneten bei der Formulierung nicht vom eigenen Machterhalt und dem Wunsch leiten ließe, unliebsame Konkurrenz zu verhindern.

Auch dem, der der schwarz-gelben Koalition nur das Beste unterstellt, muss da der gemeinsame Versuch von CDU, CSU und FDP einfallen, monatelang in skandalöser Weise eine von Karlsruhe lange angemahnte Revision des deutschen Wahlrechts verschleppt zu haben.

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