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Der Krake Paul und der Fußball - eine überirdische Verbindung?

© dpa

Fußball und Aberglaube: Hühnerblut, Kräutersud und Paul

Der Fußball kennt klare Regeln – die Fußballgötter kennen sie offenbar nicht. Und wenn mal ein Zauber nicht wirkt, war der Gegenzauber zu mächtig.

Von Caroline Fetscher

Aberglaube und Fußball bilden ein ungleiches Paar – auf den ersten Blick. Hier das Reich der Regeln und des Trainings: Klarer Kopf, Kalkül und Aggression sind die Ingredienzien fürs Siegen. Auf der anderen Seite der Ratio aber entwickelt sich ein Kosmos magischer Praktiken, ein Eldorado für Ethnologen und Sozialanthropologen, die sicher längst ihre verdeckten Ermittler vor Ort haben, ganz besonders jetzt, da mit Afrika einer der produktivsten Kontinente auf dem Sektor des Geister-Doping erreicht wurde.

Einen Zulu-Hexer sah man bei Kerzenlicht Pulver auf einen Geldschein streuen, mit dem er dann einen Ball bestrich. Auch eine tote Riesenspinne zählte zu einem Ritual. Zu anderen Zeremonien gehörten das Weissagen anhand von Knöchelchen und Muscheln oder nächtliche Beschwörungen mit Hühnerblut, Kräutersud und Zaubersprüchen. Vor dem Stadion bei Johannesburg hatten Heiler eine Kuh geschlachtet, um Bafana Bafana Kraft zu verleihen. Genützt hat all das den Afrikanern wenig. Für viele in der afrikanischen Bevölkerung war klar, der Gegenzauber war zu mächtig, ihre Leute hätten großzügiger investieren müssen.

Auch die kickenden Männer aus dem aufgeklärten Abendland und dem christlichen Lateinamerika haben Glücksbringer und Rituale. Verwendet wird dabei der magische Löw-Pullover, das Küssen oder Berühren des Rasens mit der Hand, das Bekreuzigen vor dem Spiel. Gebete, Amulette und Maskottchen kommen zum Einsatz. Die Fans wiederum machen von den Farben und Flaggen ihrer Favoriten im Sinne klassischer Fetische Gebrauch, mit denen sie zum Teil des Geschehens werden und meinen, ihre Energie entsenden zu können. So oder so werden das „Nationale“ oder die Mutter Maria, die Götter des Augenblicks oder die Geister der Ahnen beschworen.

Jetzt mochte man meinen, am Ende sei der Aufklärung der Sieg beschieden, bei diesen Spielen. „Die Spanier waren besser“, sagen sie alle. Einfach besser! Keine parteiische Muttergottes, kein heidnisches Herumhexen hat wirksam interveniert. Zielsicherheit verlieh das schachspielerisch kluge Kicken und Gucken auf dem Feld. Bei den Kommentatoren und Spielern brach sich frische Nüchternheit Bahn, aufatmen konnten die Fans der Aufklärung.

Bis dann, in Oberhausen, mitten im realistischen Ruhrpott, das ultimative Krakenorakel auftrat, ein Wunder im Aquarium, das Staunen verbreitet und Hysterie. Orakel-Oktopus „Paul“ irrt nie. Standen ihm zwei Futterbecher zur Auswahl, entschied er sich, fatales Omen, für den mit der spanischen Flagge. Aus „Paul“ als aufgeklärter Zeitgenosse ein Gramm Trost zu saugen, das kostet Fantasie.

Aber es geht. Denn gibt es ein deutlicheres Symbol für das Unbewusste als den mit allen Armen fühlenden, aus nichts als Trieb bestehenden, weichen, beweglichen Oktopus? In der Idolatrie von „Paul“, im Kult um die Wunder-Molluske, offenbart sich unser latentes Wissen, dass alles, was wir unternehmen, vom Unbewussten mitgesteuert wird. Was zu beweisen war, es ward erwiesen.

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