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In die Köpfe und Fähigkeiten aller Berliner Kinder investieren.

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Gastbeitrag: Berlin braucht eine Sprachoffensive

Deutsche hier, Ausländer dort: In den Schulen geht es zu wie zu meiner Kreuzberger Grundschulzeit vor 30 Jahren. Wir müssen endlich in die Köpfe und Fähigkeiten aller Berliner Kinder investieren.

Denke ich an die ersten Jahre meiner Kreuzberger Grundschulzeit zurück, hätten sie sich auch in der Türkei abspielen können: Der Unterricht fand fast nur auf Türkisch statt. Deutsche Klassenkameraden hatten wir nicht. Lediglich unsere Deutschlehrerin begegnete uns in der Landessprache. Heute, über 30 Jahre später, hat sich die Situation vielerorts nicht besonders verändert. Die Probleme liegen weiterhin in der oft monokulturellen Ausrichtung der Schulklassen und des Unterrichts. Bis 1995 versuchte der Berliner Senat, dem entgegenzuwirken: Maximal 35 Prozent der Kinder einer Klasse durften nicht deutscher Herkunftssprache sein. Alle anderen mussten in die Ausländerregelklasse – eine monoethnische Enklave „ausländischer“ Schüler. Die blieben unter sich. Der Versuch scheiterte.

Für viele waren die Folgen dramatisch: Das Deutsch blieb auf einem gesprochenen Niveau. Die betreffenden Jugendlichen verließen die Oberschule, wenn überhaupt nur mit einem Hauptschulabschluss, viele hatten Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz, geschweige denn einen Ausbildungsplatz zu finden. Subjektiv empfindet diese Generation – die heutigen Eltern – ihre Erfolglosigkeit auch als Ausgrenzung, nicht wenige wenden sich im Ergebnis zurück in die Nischen der Herkunftskultur. Hier ist ein Kurs- und Mentalitätswechsel überfällig.

Denn Tatsache ist: Unsere Schülerschaft ist heute vielfältiger denn je. Vielfalt stellt uns alle vor Herausforderungen, und diese werden durch soziale Probleme erschwert. Das Resultat sind Schulen, die von bildungsnahen Eltern gemieden werden. Spätestens wenn die Kinder ins Einschulungsalter kommen, ziehen diese Eltern um. Damit kommt es zu einem Abwärtstrend, der zu Segregation führt. Gegen diesen Abwärtstrend gibt es kein Patentrezept, dennoch gelingt es vielen Schulen in sozial benachteiligten Gebieten, mit Profilklassen, Schulprogrammen, Ganztagsangeboten, Elterncafés und anderem den Abwärtstrend umzukehren. Sie beweisen eindrucksvoll, dass auch Schulen in sozial benachteiligten Gebieten erfolgreich sein können. Das Geheimnis dieser Schulen liegt in der Motivation der Kollegen, einer engagierten Schulleitung, in der Bildungsqualität und der Öffnung der Bildungseinrichtung.

Wir stehen vor den Ergebnissen einer jahrzehntelangen Leugnung der Realität, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Wir können uns jedoch eine Entwicklung, in der soziale Ungleichheiten ethnisch überlagert, verschärft und verfestigt werden und Zukunftschancen zunehmend ungleich verteilt sind, nicht leisten. Sprachfördermittel hier, Sozialzuschläge dort, reicht nicht. Berlin braucht eine flächendeckende Qualitäts- und Sprachoffensive.

Die Beherrschung der deutschen Sprache ist dabei eine entscheidende Voraussetzung nicht nur für den Bildungserfolg, sondern auch für eine gleichberechtigte Teilnahme an der Gesellschaft. Dennoch ist eine multikulturelle und multilinguale Ausrichtung der Schulen und der Kollegien wichtig. In den Lehramtsstudienfächern muss deutlich werden, wie schulischer Unterricht für Kinder mit unterschiedlichen Sprachkenntnissen und verschiedenen sozialen und kulturellen Hintergründen erfolgreich zu realisieren ist. Interkulturelle Kompetenzen sind heute unabdingbar.

Konsequente Förderprogramme zum Abbau von Sprachdefiziten, gezielte Maßnahmen zum Erwerb fehlender Schulabschlüsse sowie strukturverbessernde Maßnahmen für Schulen mit hohem Anteil von sozial benachteiligten Kindern – unabhängig ihrer ethnischen Herkunft – sind dafür unentbehrlich. Dabei kommt den Kitas als vorschulische Bildungseinrichtung eine große Bedeutung zu. Diese muss – wie die Schule – sowohl personell als auch materiell für die zu bewältigenden Aufgaben gerüstet sein.

Ziel von Kita und Schule muss sein, die bestmögliche Förderung jedes Kindes zu gewährleisten. Bildungspolitik muss deshalb vor allem nachhaltig sein, sie muss in die Köpfe und Fähigkeiten eines jeden jungen Menschen investieren, egal woher die Eltern und Großeltern kommen oder wie dick das Portemonnaie der Eltern ist.

Der Autor ist bildungspolitischer Sprecher von Bündnis 90/ Die Grünen im Abgeordnetenhaus.

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