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Ein Plakat mit dem neuen chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping.

© dpa

Gastbeitrag: Chinas Übermut nutzt den USA

Die meisten Staaten Asiens streben nach dem amerikanischen Gesellschaftsmodell. Das liegt auch daran, dass China immer wieder Konflikte provoziert. Die USA dagegen suchen nicht Macht über andere, sondern wollen gemeinsam mit Partnern Einfluss nehmen.

Es ist eine gute Nachricht, dass es dank der charismatischen und klugen Führung von Präsident Barack Obama mit den USA langsam wieder vorangeht. Er gibt seinen Landsleuten Mut für die Zukunft. Die schlechte Nachricht lautet, dass, trotz aller Bemühungen von Präsident Obama, nach vier Jahren die vollständige Wiederherstellung von Stärke und Ansehen auf sich warten lässt. Heute müssen die geschwächten USA in der Welt konziliant auftreten, auch gegenüber China.

Zwar schwimmen den USA nicht gleich alle Felle davon, aber das alte Machtgefälle zwischen Washington und Peking hat sich umgekehrt. Während die USA seit Jahren über ihre Verhältnisse leben und dringend der Reform ihres gesellschaftspolitischen Systems bedürfen, sind dem chinesischen Drachen derweil Flügel gewachsen. Doch China ist in den vergangenen Jahren übermütig geworden. Es provoziert wiederholt Konflikte und sucht seine Einflusssphäre auf Kosten seiner Nachbarn auszudehnen.

Hatte es vorübergehend so ausgesehen, als ob die Asiaten sich mehrheitlich von den USA distanzieren, Zuflucht in Neutralität suchen oder sich gar an China anlehnen würden, so suchen sie jetzt unter dem Eindruck chinesischen Auftrumpfens wieder die Nähe der USA. Sie reagieren besorgt auf die Konflikte zwischen China und seinen Nachbarn. Diese neue Entwicklung spielt den USA in die Hände. Zwar erklärt sich Washington öffentlich weiter an einem starken China interessiert, doch lassen sich die USA diese Möglichkeiten nicht entgehen, um chinesischen Einfluss einzudämmen. Dabei vermeidet Präsident Obama geschickt eine lupenreine Eindämmungspolitik. Für sie gäbe es in der Region auch nur wenig Verbündete. Er bevorzugt auch in Asien „Leading from behind“ („verhaltene Führung vom Rücksitz“).

Damit fahren die USA in Asien gut. Sie passen die alten Bündnisse des Kalten Krieges geschickt den neuen Herausforderungen an. Mit Vietnam, Erzfeind der 1960er und 1970er Jahre, werden die guten Beziehungen sogar durch gemeinsame militärische Manöver intensiviert. Obamas Kombination von Eindämmung und Einbindung („Congagement“), wie von ihm in Canberra formuliert, erfährt Zustimmung, weil er mit einer Mischung von Verständnis und Eigeninteresse auf die Sorgen der asiatischen Länder reagiert.

Mit diesem „Re-balancing“ ziehen die USA die Konsequenzen aus den globalen Machtverschiebungen. China wird den USA näherrücken, sie aber auf absehbare Zeit nicht als stärkste Macht ablösen, weder global noch regional. Denn China fehlt bisher, was die USA erneut unter Beweis stellen: Amerika sucht nicht die Macht über andere, sondern Einfluss gemeinsam mit Partnern. So gewinnen die USA wieder an „Soft power“ bzw. an Einfluss, der wichtiger wird als harte Machtfähigkeit.

Macht funktioniert letztlich durch Druck und Zwangsmaßnahmen, Einfluss dagegen beruht auf Überredungskunst und Verständnis für die Interessen der anderen. Einfluss ist deshalb effektiver, kostet weniger, ist ein Sympathieträger, daher weniger riskant und Voraussetzung für Zustimmung bzw. Gefolgschaft. Der Mangel an „Soft power“, an Einfluss, bleibt also Chinas politische Achillesferse. Keine Macht, auch nicht die USA, handelt nur altruistisch. Aber es gibt im Vergleich keine andere große Macht, auf die Asien oder die Welt ordnungspolitisch verzichten könnte. Deshalb bleiben vorerst nur die USA zu einem sanften Hegemon prädestiniert.

Anstatt die kraftvolle Asien-Strategie von Präsident Obama als Abwendung von Europa zu bedauern, sollten die Europäer lieber die neue Dynamik amerikanischer Asienpolitik aufgreifen. Die selbst postulierte weltpolitische Rolle der EU könnte endlich einmal in einer gemeinsamen europäischen Asienpolitik und mit den USA abgestimmt werden. Das würde auch die transatlantischen Beziehungen stärken. Doch sieht die europäische Wirklichkeit so trübe aus wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Das gilt auch für Europas Rolle in Asien.

Allerdings sind in Asien weitere Konflikte nicht auszuschließen. Die Region gleicht einem politischen Minenfeld, das wird oft angesichts der beeindruckenden wirtschaftlichen Fortschritte vergessen. Die Beziehungen zwischen China und Japan sind seit Jahrzehnten konfliktgeladen. Pakistan und Indien liegen im Streit, Afghanistan wird auch zum Ort regionaler Rivalitäten. China fühlt sich von Japan, Indien und Russland eingekreist. Nordkorea ist neben dem Iran der weltpolitische Kristallisationspunkt der nuklearen Weiterverbreitungsproblematik. Die Region erscheint also hochexplosiv. Konflikte könnten weiter religiös-terroristisch aufgeladen werden.

Die Führung in Peking vergleicht Chinas Rolle mit der des aufstrebenden Kaiserreiches. Sie strebt – und bisweilen genauso ungeschickt wie der deutsche Kaiser seinerzeit – nach einem Platz an der Sonne. Doch bislang mangelt es den Chinesen an Macht, Einfluss und Verbündeten, um den USA ihre Stellung in Asien streitig zu machen. Sollten jedoch die USA wirtschaftlich scheitern und das westliche Kapitalismusmodell an Zugkraft verlieren, dann könnte das Problem entstehen, dass einerseits immer mehr Asiaten aus ökonomischen Motiven die Zusammenarbeit mit China anstreben, andererseits sie jedoch aus sicherheitspolitischen Gründen auf den Schutz der USA nicht verzichten wollen.

Vorerst haben sich die Chancen für die US-Strategie des „Re-balancing“ angesichts der grundsätzlichen Machtverschiebungen vom Westen nach Asien verbessert. Aber Gerechtigkeit, Stabilität und Ordnung entstehen auch in Asien nicht von selbst, sondern müssen organisiert werden.

Angesichts der schwindenden Macht der USA und des wachsenden Selbstbewusstseins der autoritären Mächte wird der Mehrheit der Asiaten deshalb bewusst, dass eine multipolare Welt ohne US-amerikanische Führung auch für Asien die schlechtere Alternative darstellt. „Wilde“ Multipolarität birgt Unsicherheit, weil in neue Machthohlräume autoritäre Mächte eindringen. Kein Zweifel, die Zeit der kompakten Überlegenheit des Westens ist in Asien vorbei. Während die USA sich fangen, die Schwächen Chinas erkennen, klug zum eigenen Vorteil nutzen und den Willen zur Erneuerung in die Tat umsetzen, verharrt Europa weiter in Tatenlosigkeit. Exporte sollten nicht mit außenpolitischer Strategie verwechselt werden.

So lautet das Fazit: China ist zwar in der globalen Machthierarchie aufgestiegen. Doch sein autoritäres Staatsmodell und seine fordernde Außenpolitik begünstigen Machtverschiebungen zugunsten der USA. Deren gesellschaftspolitisches Modell, und nicht zuletzt Amerikas Eintreten für Demokratie, Sicherheit und Ordnung bestärken derzeit die Mehrzahl der Asiaten im gemeinsamen „Re-balancing“ gegenüber China.

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