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Die möglichen Stasi-Verstrickungen des brandenburgischen Ex-Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) sorgen für Streit in der Enquete-Kommission des Brandenburger Landtags zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.

© Manfred Thomas

Gastbeitrag: Der Fall Stolpe: Was vor 20 Jahren alles nicht geschah

Ein Klima der Verklärung und Relativierung habe geherrscht, als sich ein Untersuchungsausschuss in Brandenburg mit Stolpe und der Stasi beschäftigte, sagt Ex-Ausschuss-Mitglied Günter Nooke. Und das wirke bis heute nach.

Als 1992 die Akten des Staatssicherheitsdienstes der DDR für SED-Opfer und Journalisten öffentlich zugänglich wurden, war der Ministerpräsident des Landes Brandenburg, Manfred Stolpe, der beliebteste ostdeutsche Politiker mit Zustimmungsraten in der Bevölkerung um die 85 Prozent. Diese populäre Ostautorität entstand in einer Dreiecksbeziehung zusammen mit Bürgern und Medien. Selbst der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hatte im Spreewaldkahn neben ihm keine Chance: Stolpe rief dem Mütterchen im Garten zu, wie toll doch ihr Phlox blühe, und hernach berichteten viele Journalisten begeistert von der Landpartie.

Dabei ist irrelevant, ob Stolpes Stärke, auf Menschen einzugehen, authentisch, angelernt oder beides war. Kurt Biedenkopf in Sachsen wusste, wie man gute Politik macht und erklärt. Aber nur der gelernte DDR-Bürger, wie sich der ehemalige Konsistorialpräsident gern selbst bezeichnete, konnte fühlen wie die Ostdeutschen.

Am 18. Januar 1992 berichtete der „Spiegel“ in einer Vorabmeldung über die konspirativen Stasikontakte des Brandenburgischen Ministerpräsidenten. Doch keiner wollte das wissen oder gar glauben. Selbst Bürgerrechtler wie Rainer Eppelmann und Marianne Birthler äußerten sich gegenüber Medien in den ersten Tagen relativierend. Nur sehr wenige Journalisten berichteten kritisch zur Vergangenheit des Ministerpräsidenten, selbst solche, die zuvor viele Stasifälle zu enthüllen halfen. Kaum ein relevanter ostdeutscher O-Ton war zu hören. Diesen netten SPD-Ministerpräsidenten wollten alle behalten. Stolpe war doch anders als die, die in Thüringen (Duchac), Sachsen-Anhalt (Gies) und Mecklenburg Vorpommern (Gomolka) gehen mussten.

Günter Nooke, heute Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin und CDU-Mitglied, früher Mitglied bei Bündnis 90 und Mitglied im Stolpe-Untersuchungsausschuss.
Günter Nooke, heute Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin und CDU-Mitglied, früher Mitglied bei Bündnis 90 und Mitglied im Stolpe-Untersuchungsausschuss.

© dpa

Und als in „Report München“ Heinz-Klaus Mertes nach einem gut recherchierten Beitrag zur Rolle Stolpes bei der Loslösung der Evangelischen Kirche in der DDR von der West-EKD am Montagabend des Erscheinens des Spiegelartikels Manfred Stolpe in die Augen sagte, er werde zurücktreten müssen, da erklärte sich auch der letzte zweifelnde Ossi solidarisch: Wir lassen uns doch von den Revanchisten aus München nicht vorschreiben, wer bei uns Ministerpräsident sein darf.

Wir können uns diese Situation heute nur schwer vorstellen. Die Betroffenheit auf allen Seiten war riesig. Die zur Verteidigung Stolpes aufgestellte Taskforce in der Staatskanzlei in Potsdam, von Kritikern als „AG Heiligenschein“ bezeichnet, leistete exzellente Arbeit. Selbst Bundespräsidenten sprachen mit Chefredakteuren, und schon ein fertig geplanter ARD-Brennpunkt wurde keine Stunde vor Beginn der Sendung wieder abgesetzt.

Was geschah, war die permanente Verschiebung der Akzeptanzschwelle im konkreten Einzelfall Stolpe. Warum, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Es hatte nichts mit seinem Einsatz für Bürgerrechtler zu tun, wenn in konspirativen Wohnungen bereitwillig „Aufträge“ der Führungsoffiziere der Stasi entgegen- genommen und erfüllt wurden! Aber die immer eindeutiger zu- tage beförderten Fakten über die Stasizusammenarbeit des Ministerpräsidenten störten die fortlaufende Relativierung nicht.

Spätestens im Herbst 1992 hatten der „Brandenburger Weg“ und viele Stasiberichterstattungen ein übles Völlegefühl im Osten erzeugt. Fast alle Bürger waren überzeugt: Es reicht jetzt.

In Brandenburg kam noch hinzu: Der Vorsitzende der PDS-Fraktion und des Stolpe-Untersuchungsausschusses, Lothar Bisky, dessen Partei zum Jahreswechsel 1991/92 in Umfragen bei sechs Prozent lag, wusste: Bleibt Stolpe, bleibt meine Partei. Der Vorsitzende der anderen Oppositionsfraktion CDU, Peter-Michael Diestel, kämpfte nicht gegen Stolpe, sondern für seine Mandanten aus den Ministerien und bewaffneten Organen der DDR: Wenn Stolpe gewinnt, werden die alle in den Dienst zurückgeklagt. Und der ehemalige bundesdeutsche Chefdiplomat und Justizminister, Hans-Otto Bräutigam, deckte die Westflanke ab und ersparte vielen Westdeutschen das peinliche Bekenntnis: Wir haben viel zu viel den Diktatoren und Spitzeln der DDR erzählt und standen ihnen oft sogar mental oder politisch nahe.

In Potsdam konnte ein Generalstaatsanwalt, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen, sagen: Man ermittelt nicht gern gegen den, der die eigene Ernennungsurkunde unterschrieben hat. Auch die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg und ihre Kirchenleitung, die zu über drei Vierteln aus SPD-Mitgliedern bestand, waren an Vergangenheitsaufarbeitung nicht interessiert. Denn es wäre dann nicht nur um Stolpe gegangen.

So entstand ein Klima der Verklärung und Relativierung der zu DDR-Zeiten einfachsten Sachverhalte. Während fast alle Politgrößen der alten Bundesrepublik Stolpe vor dem Untersuchungsausschuss verteidigten, sprach als einer der ganz wenigen, der mecklenburgische Bischof, Christoph Stier, aus, wie er früher das „Wirken Stolpes“ bezeichnet hätte – als Spitzeltätigkeit. Das aber waren absolute Ausnahmen, die medial kaum vermittelt wurden. Interesse, geschweige denn eine Mehrheit zur Geschichtsaufarbeitung war weit und breit nicht zu finden. Und ich wollte mit gleichen Maßstäben messen und sah politisch wenig Legitimation, gegen andere vorzugehen, solange die Brandenburger ihren Landesvater behalten wollten.

Man muss sich heute wundern und freuen über das aufgeregte Interesse an dem, was vor knapp zwanzig Jahren in Brandenburg alles nicht geschah. Die Ostdeutschen fühlten sich fremd im vereinten Deutschland; nicht nur ohne Arbeit oder mit westdeutschen Chefs, sondern auch ohne ihre als integer geglaubten Autoritäten aus Medien, Sport, Kirche und Kultur.

Am ehesten kann man heute, kurz nach dem Fall Guttenberg, noch die SPD verstehen, die auf ihren einzigen Medienstar und Hoffnungsträger in der Bevölkerung nicht verzichten wollte, auch wenn der weit mehr getan hatte, als Teile einer Dissertation zu plagiieren.

Der Autor ist Afrikabeauftragter der Bundeskanzlerin, davor war er Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Als Fraktionschef von „Bündnis 90“ war er Anfang der neunziger Jahre Mitglied im Stolpe- Untersuchungsausschuss.

Günter Nooke

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