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Späh-Attacke. Die NSA soll es auch auf Wirtschaftsdaten abgesehen haben.

© Reuters

Gastbeitrag: Der NSA-Ausschuss muss sich auch mit den deutschen Geheimdiensten beschäftigen

Deutschland sieht sich gerne als Vorreiter im Datenschutz. Weder die Amerikaner noch andere europäischen Staaten werden uns diese Rolle allerdings abnehmen, solange wir mit unseren eigenen Geheimdiensten ähnlich lax verfahren wie sie mit ihren.

Die ersten Enthüllungen von Edward Snowden sind nun bereits über ein halbes Jahr her. Wann hat zuletzt ein Skandal das Vertrauen von Bürgern in unsere eigene Regierung, in unsere Sicherheitsbehörden und deren Fähigkeit und Willen uns zu schützen so tief erschüttert? Es geht um weit mehr, als um die Frage ob Edward Snowden nach Deutschland kommen kann. Unsere Interessen sind im Kern berührt: außenpolitisch, wirtschaftlich und vor allem beim Schutz der Bürger. Darauf, dass sich tatsächlich etwas ändert, warten wir allerdings immer noch. Zeit erste Schritte zu gehen.

Dass es gelingt, so viel Druck auf die USA auszuüben, dass der NSA unsere Bürgerrechte respektieren wird, erscheint im Moment unwahrscheinlich. Die Verhandlungen über ein No-Spy-Abkommen werden wohl scheitern. Umso wichtiger, dass das zwischen den EU-Mitgliedern gelingt. Das gegenseitige Ausspionieren widerspricht der Europäischen Grundrechtecharta, den Regeln des fairen Wettbewerbs im Binnenmarkt und vor allem dem vertrauensvollen Miteinander in der Union. Wir müssen sicherstellen, dass alle Dienste in der EU unter voller demokratische und rechtliche Kontrolle stehen. Hier darf es keine Zweifel und keine Grauzonen geben.

Der Bundestag darf dies nicht der Regierung überlassen. Laut Grundgesetz sind die Abgeordneten, als gewählte Vertreter der Bürger, für die Kontrolle der Geheimdienste zuständig. Wenn Mitglieder des parlamentarischen Kontrollgremiums öffentlich beteuern, dass sie von der engen Kooperation zwischen BND und NSA nichts gewusst haben, kann das nur heißen, dass das jetzige Modell nicht funktioniert. Es wird Zeit, dass sie ihre Verantwortung ernst nehmen.

Der NSA-Untersuchungsausschusses, den der Bundestag hoffentlich bald einsetzt, sollte aufklären, aber auch Gelegenheit zu Reflexion bieten und Anstöße für Reformen der Aufsicht über unsere eigenen Geheimdienste und deren Kooperationen liefern. Enge Zusammenarbeit und Austausch mit den Diensten befreundeter Länder halten wir für selbstverständlich. Aber es müssen die strikten Regeln rechtsstaatlicher Gewaltenteilung und das Primat der Politik gelten.

Eine substanzielle Kontrolle unserer und der anderen europäischen Geheimdienste durchzusetzen, wäre ein erster Schritt zur Wiederherstellung von Vertrauen. Es darf nicht den Hauch eines Zweifels geben, dass für alle europäischen Regierungen die Rechte aller europäischen Bürger unantastbar sind.

Zwischen den EU-Ländern müssen gemeinsame Standards für die Arbeit und die Kontrolle von Geheimdiensten vereinbart werden. Und es sollte einen Austausch über verschiedene Modelle bei dieser Kontrolle geben. Die Europaausschüsse der nationalen Parlamente treffen sich bereits regelmäßig. Auf ähnliche Weise könnten regelmäßiger Austausch zwischen den Geheimdienstausschüssen dazu beitragen, Transparenz, gemeinsame Standards und Vertrauen zu schaffen.

Was spricht gegen ein Kontrollgremium, in dem neben Abgeordneten auch Datenschützer und Bürgerrechtler sitzen? Die Erfahrung zeigt, dass die Abgeordneten zeitlich unter starkem Druck stehen. Gleichzeitig entsenden die Fraktionen oft Innenpolitiker in die Kontrollgremien, deren Herz sowieso eher für mehr Kontrolle und weniger für den Schutz der Privatsphäre schlägt. Also wäre es naheliegend, Menschenrechtspraktiker aus der Zivilgesellschaft in die Kontrolle mit einzubeziehen.

Was spricht dagegen, vollständige Akteneinsicht zu gewähren, solange Persönlichkeitsrechte und die Vertraulichkeit von Ermittlungen gewährleistet werden? Was spricht dagegen, dass Ombudsleute in den Diensten, die Sicht der Bürger vertreten? Was spricht gegen umfassende Kontrolle geheimdienstlicher Aktionen durch Richter und Datenschützer?

Es kann in einem Rechtsstaat keine Exekutivhandlung ohne rechtlichen Rahmen und gerichtliche Kontrolle geben. Müssen nicht die gewählten Abgeordneten sagen, wo die Pflicht zu Transparenz endet oder überlassen sie es weiter den Diensten selbst fest zu legen, was im Dunkeln bleibt? Die unglaublich weitreichenden Möglichkeiten für Überwachung im Internet sind durch Edward Snowden für jeden sichtbar geworden. Wir können der Fragen nicht mehr ausweichen, was der Geheimdienst eines demokratischen Rechtsstaates im Netzzeitalter tun darf und wo die technischen Möglichkeiten nicht ausgeschöpft werden dürfen.

Wir brauchen beides: die besten Dienste und die beste rechtliche und demokratische Kontrolle

Darauf zu verweisen, dass die Dienste anderer Länder solche Standards nicht respektieren werden, ist der zynische Versuch sich der Kontrolle zu entziehen und kann keine Ausrede sein. Oder gar zu argumentieren, dass die Dienste von Willkürstaaten Vorteile hätten, wenn wir unsere Standards zu hoch setzen, kann ja wohl nicht ernst gemeint sein. Wir brauchen beides: die besten Dienste und die beste rechtliche und demokratische Kontrolle.

Wenn es gelingt, in Deutschland und den anderen EU-Ländern zeitgemäße demokratische und rechtsstaatliche Standards durchzusetzen, ist das letztlich die beste Ausgangsposition, um auch in den USA mehr politische und rechtliche Kontrolle zu erreichen. Wenn wir es besser machen, wird das diejenigen in den USA stärken, die ihre Dienste Begrenzungen unterwerfen wollen.

Deutschland sieht sich gerne als Vorreiter im Datenschutz. Weder die Amerikaner noch unsere europäischen Partner werden uns diese Rolle allerdings abnehmen, solange wir mit unseren eigenen Geheimdiensten ähnlich lax verfahren wie sie mit ihren. Reformkräfte in anderen europäischen Ländern und in den USA schauen bei Datenschutz und rechtsstaatlicher Kontrolle der Geheimdienste auf Deutschland. Der Bundestag kann und sollte hier eine Führungsrolle zu übernehmen.

Die Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses und der Bundestag insgesamt stehen in der Verantwortung. Es geht um den Schutz der Privatsphäre von uns Bürgern und den Schutz geistigen Eigentums unserer Unternehmen. Es geht darum dem Grundgesetz Geltung zu verschaffen.

Es ist ist Zeit, von Beobachtungsobjekten zu politisch handelnden Bürgern zu werden. Ob Journalisten, Rechtsanwälte, Unternehmer oder Privatpersonen - wir alle sind aufgerufen klar zu machen, dass der Schutz des Grundgesetzes wieder in vollem Umfang durchgesetzt werden muss. Die volle Kontrolle unserer eigenen Geheimdienste wäre ein erster Schritt.

Markus Löning ist ehemaliger Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und Senior Fellow beim “Privacy Project” der Stiftung Neue Verantwortung in Berlin.
Stefan Heumann ist stellvertretender Programmdirektor “Europäische Digitale Agenda” bei der Stiftung Neue Verantwortung.

Markus Löning, Stefan Heumann

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