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Barbara John war von 1981 bis 2003 Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

© TSP

Gastbeitrag: Geh voran, weiter voran

Ich erinnere mich noch an das Wehklagen vieler nach seiner Wahl zum Papst: stockkonservativ, bewahrend, reformfeindlich sei er. Doch dieser Papst war aufwieglerisch und systemverändernd

Der Arbeiter im Weinberg, wie sich Papst Benedikt XVI. bei seiner ersten Rede nach seiner Wahl auf dem Petersplatz selbst bezeichnete, will nicht mehr Papst sein. Das passt zu diesem Mann. Nicht größer und mehr sein, als er tragen und verantworten kann. So habe ich ihn immer erlebt und gesehen. Persönlich begegnet bin ich ihm nie, nur medial in seinen Büchern und Fernsehauftritten und eigentlich erst seitdem er Papst geworden war.

Was ich da gesehen und erlebt habe, war immer dasselbe Bild: ein katholisch frommer, demütiger, kluger, nachdenklicher, hart arbeitender, bescheidener, scheuer, suchender, im Urteil entschiedener Mann. Ich erinnere mich noch an das Wehklagen vieler nach seiner Wahl zum Papst: stockkonservativ, bewahrend, reformfeindlich sei er, ein Bewahrer und Systemerhalter, kein Modernisierer. Erwartet wurde wieder einmal ein Jesus von Nazareth, der sich den etablierten Autoritäten und erstarrten Apparaten in der katholischen Kirche couragiert entgegenstellt; ihre Dogmen infrage stellt und die Weltkirche mit ihren 1,2 Milliarden Gläubigen möglichst nach dem Muster des kirchensteuer- und staatsfinanzierten, hedonistischen privilegierten deutschen Katholizismus ausrichtete.

Als er jedoch ein bisschen in die Nähe eines geistigen Reformers rückte, da hatte er es sich bei seinem Deutschland-Besuch 2011 vor engagierten Katholiken in seiner Freiburger Rede mit vielen Berufskatholiken fast schon wieder verdorben. Mir hat es dagegen mächtig imponiert, wie er die historische Enteignung von Kirchengütern und die Aufgabe von Privilegien nicht kritisierte, sondern pries als teilweise „Entweltlichung der Kirche“, die ohne Reichtum und materielle Bindung ihr „Handeln wieder glaubhaft machen kann“.

Ähnlich werden vielen Bundestagsabgeordneten und Politikern die Ohren geklungen haben, als er in seiner Rede vor dem Bundestag mahnte, dass Maßstab und Grund für die Arbeit als Politiker nicht Erfolg „und schon gar nicht materieller Gewinn“ sei, sondern allein „Mühe um Gerechtigkeit“. Wenn das nicht aufwieglerisch und systemverändernd war.

Nur warum hat er die Forderungen vieler kritischer Katholiken in Deutschland völlig links liegen lassen – wie die Anerkennung homosexueller Partnerschaften, die Abschaffung des Zölibats, die Empfängnisverhütung durch die Pille, das Diakonat oder gar das priesterliche Amt für Frauen, die gemeinsame Kommunion von Katholiken und Protestanten, die Zulassung von Geschiedenen zur Wiederverheiratung und zum Kommunionempfang? Der Mann aus dem bayerischen Marktl war nicht dazu geschaffen, das umzukrempeln, was mehr als 2000 Jahre in der Kirche Bestand hatte. So wie es seine Vorgänger auch nicht waren.

Das hat mit dem Amt zu tun, das nun weltumspannend, aber nicht religionsbegründend, sondern nur religionsverwaltend ist. Warum muss es überhaupt der Papst sein, der sich an die Spitze solcher Reformen stellt? Warum diese Autoritätsgläubigkeit? Warum nicht reden und handeln, wie es selten, aber doch vernehmlich von manchen Kanzeln zu hören ist beim Verlesen päpstlicher Rundschreiben: Das sagt unser Heiliger Vater in Rom, doch jeder von uns ist seinem Gewissen verpflichtet.

Ich bin sicher, dass Joseph Ratzinger auch als Papstrentner mit dem Fundus seines Wissens an seinen Lieblingsthemen weiterarbeitet. Jedenfalls wünsche ich mir das, denn es sind auch meine Lieblingsthemen: Glaube und Vernunft, Glaube und Rationalität. Wie passt das überhaupt zusammen? Wer möchte nicht beides gleichzeitig – glauben und sich seines Verstandes bedienen. Und, wie finden wir die moralischen Grundlagen in den so unterschiedlichen Kulturen und Religionen, um friedfertig zusammenzuleben? Joseph Ratzinger, geh in diesen Fragen weiter voran.

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