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Der Jurist Wolfgang Neskovic war bis 2005 Richter am Bundesgerichtshof. Seit 2005 sitzt er für Die Linke im Bundestag. Er ist Justiziar der Fraktion.

© dapd

Gastbeitrag: Katja Kipping und Sahra Wagenknecht sollten die Linke führen

Am Wochenende wählt die zerrissene Linke auf einem Richtungsparteitag eine neue Führung. Die muss inhaltsstark und charismatisch sein, schreibt der Justiziar der Bundestagsfraktion in seinem Gastbeitrag und spricht sich für ein Führungsduo Kipping/Wagenknecht aus.

Die Linke streitet über ihre Führung. Der Streit bringt ihr mehr öffentliche Wahrnehmung ein als  ihre politischen Konzepte. Die Medien haben den Streit scheinbar sorgfältig analysiert, seine Fronten einfach beschrieben. Die ostdeutschen Landesverbände wollen an die Macht, die westdeutschen Landesverbände wünschen konsequente Opposition. Pragmatiker stehen gegen Utopisten. Karrieristen kämpfen gegen Idealisten. Nichts davon ist so richtig. Die ostdeutschen Landesverbände sind voller nachdenklicher Idealisten. Im Westen gibt es jede Menge Pragmatiker. Regierungs-beteiligungen werden in Ost und West angestrebt. Im Osten scheitern diese Beteiligungen im Ergebnis inhaltlich. Im Westen kommen sie schon gar nicht zustande. In beiden Fällen liegt das auch an der SPD.

Der sogenannte „dritte Weg“ mit einer weiblichen Doppelspitze könnte der Linken aus ihrer existentiellen Krise heraushelfen. Insbesondere Katja Kipping steht für ein linkes gesellschaftliches Projekt, das sich als politische Alternative zu dem neoliberalen Gesellschaftskonzept versteht. Sie hat das „Institut Solidarische Moderne“ mit linken Grünen und Sozialdemokraten gegründet. Sie setzt auf den Diskurs der widerstreitenden Kräfte nicht nur in der Partei, sondern auch in der Gesellschaft. Sie weiß um die Notwendigkeit europäischer Lösungen für eine europaweite Wirtschafts- und Finanzkrise. Sie erweitert den sozialen Forderungskatalog konsequent um ökologische Positionen. Sie steht für eine gesellschaftliche Erzählung, bei der es um mehr Gerechtigkeit für Mensch und Natur oder anders ausgedrückt für einen umfassenden sozialökologischen Umbau unserer Gesellschaft geht.

Bei alledem können Bartsch und seine Gefolgsleute nicht mithalten. Sie setzen sich aus politischen  Taktikern und Ämtersammlern zusammen. Sie sind Experten in der Erringung der Macht und zugleich weitgehend planlos, was sie mit der errungenen Macht überhaupt Linkes anfangen sollen. Nichts hat weniger Charisma als Macht ohne Inhalte. Nichts transportiert weniger Inhalte als Macht ohne Charisma.

Parteivorsitzende müssen inhaltsstark und charismatisch führen. Katja Kipping ist dieser Aufgabe ohne Weiteres gewachsen. Nach neun Jahren als stellvertretende Vorsitzende der PDS bzw. Linken ist sie mit dem Innenleben der Partei bestens vertraut. In der politischen Auseinandersetzung nach Innen hat sie mit taktischen Geschick und inhaltlicher Beharrlichkeit bewiesen, dass Streit den Kurs der Partei bereichern kann. Kipping ist ein halber Glücksfall. Zur Vollendung fehlt jedoch noch die andere Hälfte.

Denn eine zweite Aufgabe der Parteivorsitzenden ist nach außen gerichtet. Als Kopf der Partei sind sie in der Pflicht, die Inhalte der Partei in die Gesellschaft hineinzutragen. Auch für die Außenwirkung der Partei braucht es eine charismatische und überzeugungsstarke Persönlichkeit. Mit Sahra Wagenknecht verfügt die Linke über eine solche Politikerin. Sie würde den halben Glücksfall an der Führung der Linken in deren vollen Erfolg verwandeln, weil sie die andere Hälfte der notwendigen Fähigkeiten beisteuert. Sie ist einer Vielzahl ihrer Konkurrenten und Neider nicht nur intellektuell überlegen. Sahra Wagenknecht vermag es, pointiert und wirkungsmächtig die Inhalte der Linken in die Öffentlichkeit zu tragen. Mit ihrer Art, politische Visionen zu entwickeln und zu vertreten, findet sie Anerkennung und Zuspruch weit über das eigene Lager hinaus.

Mit Wagenknecht und Kipping würde die Linke nicht nur zwei begabte Problemlöserinnen an der jeweils passenden problematischen Stelle ihrer Führung gewinnen. Die Partei würde sich endlich auch verabschieden von der falschen Idee einer strömungsorientierten Proporzlogik. Kipping ist keine Reformerin. Wagenknecht ist keine Idealistin. Sie kommen beide aus dem Osten. Keine von ihnen verengt ihren Blickwinkel auf diese Herkunft. Beide Frauen liegen jenseits jener einfachen Gedankenwelten, die die Partei spalten. Genau deswegen ist es ihnen zuzutrauen, diese Spaltung zu überwinden.

Der Jurist Wolfgang Neskovic war bis 2005 Richter am Bundesgerichtshof. Seit 2005 sitzt er für Die Linke im Bundestag. Er ist Justiziar der Fraktion.

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