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Gastbeitrag: Mehr Flexibilität

Die Welt ist in Bewegung. Das verlangt Verantwortung, Weitsicht und Staatskunst auf allen Seiten.

Das Jahr 2012 wird zu Weichenstellungen für langfristige Entwicklungen weltweit führen. Europa hat zwangsläufig den Anfang gemacht – eine neue Wachstumsinitiative ohne Neuverschuldung wird folgen. In China lässt der Machtkampf um den langfristigen Kurs dieses Global Players neue Transparenz erkennen. Gleichzeitig zeigt China wirtschafts- und finanzpolitisch den Willen zu einer globalen Verantwortungspolitik. Präsident Obama hat dem scheidenden russischen Präsidenten Medwedew mehr Flexibilität nach der Wahl zugesichert. Es wird sich zeigen, ob er die Kraft findet, den Bush-II-Irrtum von der unipolaren Weltordnung endgültig zu überwinden. Im rechten Flügel der Republikaner wird er immer noch vertreten.

Geboten ist jetzt die Schaffung einer globalen Kooperationsordnung auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der Ebenbürtigkeit der Völker und der Regionen. Bill Clinton mahnte sein Volk, als stärkste Macht von heute diese Stellung zu nutzen, um eine Weltordnung zu schaffen, in der die Amerikaner sich auch dann noch wohlfühlen können, wenn sie nicht mehr die stärkste Macht der Welt sind. Die transatlantischen Partner EU und USA sollten es als gemeinsame Aufgabe erkennen, eine neue Weltordnung zu fördern, die überall als gerecht empfunden werden kann. So brauchen wir Rahmenbedingungen für den Weltfinanzmarkt, um die zum Teil unverantwortlichen Akteure zu bändigen. Es wäre ein Fehler, sich als Vertreter eines globalen Besitzstandsdenkens einer postkolonialen Ordnung zu verstehen. Man denke nur an die Zusammensetzung des VN-Sicherheitsrats oder an die Vertretung der sogenannten Schwellenländer in den internationalen Finanz- und Wirtschaftsorganisationen. EU und USA repräsentieren die beiden Modelle der Global Player der Zukunft: große Staaten wie die USA und regionale Zusammenschlüsse wie die EU oder etwa Asean. Sie sollten im Verhältnis zu den neuen Global Playern beispielhaft und respektvoll handeln.

Auf Moskau blickt die Welt in Erwartung des Präsidenten Putin II. Er muss dem Land den Weg in die Zukunft öffnen, das heißt modernisieren und demokratisieren. Der Präsidentschaftswahlkampf ließ eine sich formierende Bürgergesellschaft in Russland erkennen und manches deutet darauf hin, dass Putin das Signal verstanden haben könnte. Die Probleme – man denke nur an den Nahen und Mittleren Osten –, sind für USA, EU und Russland die gleichen. Sie raten zu einer immer engeren Kooperation. Der Westen und Russland sollten angesichts gemeinsamer Probleme den Versuch eines neuen partnerschaftlichen Anfangs machen: das Gemeinsame erkennen und das Trennende überwinden. Der G-8-Gipfel in Camp David gibt die Gelegenheit, eine neue Seite im Ost-West-Verhältnis aufzuschlagen.

Das ist im Westen nicht allein Sache der Amerikaner. Deutschland trägt wie in der Vergangenheit bei der Formulierung der westlichen Verständigungspolitik mit Russland eine besondere Verantwortung. Die Bundeskanzlerin und den neuen – alten – russischen Präsidenten verbindet ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens, eines nüchternen Realismus und gegenseitigen Respekts. Außenminister Westerwelle hat mit seinem russischen Kollegen Lawrow zu einer vertrauensvollen Kooperation gefunden. Mit der von manchen belächelten Neubelebung des Themas Abrüstung hat Westerwelle ein Problem auf die Tagesordnung gesetzt, das angesichts der Gefahr der Ausbreitung nuklearer Waffen dringlicher denn je ist. Deshalb wird auf dem Nato-Gipfel in Chicago unmittelbar nach der Begegnung in Camp David ein hohes Maß an Staatskunst notwendig sein, wenn die Gefahr unumkehrbarer und konfrontativer Entwicklungen in der Frage der Raketenabwehr vermieden werden soll. Mehr Flexibilität eben – wie Obama zu Recht ankündigte.

Die Welt ist in Bewegung. Das verlangt Verantwortung, Weitsicht und Staatskunst auf allen Seiten. Die Geschichte pflegt ihre Angebote nicht zu wiederholen, und ihre Gelegenheiten auch nicht. Der Westen und Moskau – beide sollten das bedenken. Auch der Geist der Charta von Paris aus dem Jahr 1990 gebietet das.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Außenminister.

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