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Welchen Anteil hat die Agrarspekulation an Hungersnöten in armen Ländern? Darüber wird in der Wissenschaft gestritten.

© Reuters

Gastbeitrag: Soll die Agrarspekulation reingewaschen werden?

Führt Agrarspekulation dazu, dass mehr Menschen auf der Welt hungern müssen? Unser Gastautor meint: Möglicherweise schon. Eine Erwiderung.

Im Tagesspiegel vom 24. Januar 2013 behauptet Ingo Pies, Professor für Wirtschaftsethik, dass sich eine von mir für die Deutsche Welthungerhilfe verfasste Studie „explizit“ gegen die Forderung ausspreche, index-basierte Terminmarktgeschäfte „auf null zu reduzieren“. Aus dieser Behauptung und aus der Tatsache, dass sich die Welthungerhilfe gegen diese Finanzmarktprodukte engagiert, konstruiert der Autor einen „gravierenden Fall von Organisationsversagen“. Die von Herrn Pies aufgestellte Behauptung über den Inhalt meiner Studie ist irreführend.

Richtig ist vielmehr: In der Studie wird erläutert, welche theoretische Wirkungen index-orientiertes Anlegerverhalten auf Terminmärkten hat im Unterschied zu dem Verhalten „konventioneller“ Spekulanten: Konventionelle Spekulanten zieht es seit Jahrhunderten auf den Warenterminmarkt und sie erfüllen dort eine wichtige Funktion. Indexorientierte Anleger verfügen hingegen erst seit wenigen Jahren über die erforderlichen Instrumente und die ihnen von der Politik eingeräumten Freiheiten. Ihre Nützlichkeit für das Funktionieren der Märkte ist nicht erkennbar. Vielmehr verstärken sie überschießende Preisentwicklungen. Erläutert werden in der Studie zudem die Kanäle, über die Preisbewegungen von den Terminmärkten auf die Spotmärkte übertragen werden.

Die im Mai 2011 von der Welthungerhilfe veröffentlichte Studie geht zudem auf empirische Untersuchungen ein, die von Wissenschaftlern der Weltbank, der Handelsorganisation der Vereinten Nationen und des Institute for Food Policy Research durchgeführt wurden. Diese zeigen negative Auswirkungen von exzessiver Spekulation auf das Geschehen auf den Rohstoffmärkten. Später erschienene Studien etwa des Münsteraner Zentrums für Quantitative Ökonomie deuten in die gleiche Richtung.

Zugleich weist die für die Welthungerhilfe erstellte Studie aber mit der gebotenen wissenschaftlichen Zurückhaltung darauf hin, dass der „Datenbeweis“ einer theoretisch existierenden Wirkungskette nicht die Güte eines Beweises in einem einfachen mechanischen Experiment haben kann. Es handelt sich bei den Weltfinanzmärkten schließlich um hochkomplexe Systeme – vergleichbar durchaus mit dem Weltklima. Auch haben es die politischen Entscheidungsträger bislang versäumt, für eine hinreichende Transparenz der Transaktionen zu sorgen, was auch die Datenlage für die Wissenschaft erheblich verbessern würde.

Aus der Analyse folgte in der Studie das Plädoyer, die für das Funktionieren der Warenterminmärkte unnötigen und oft schädlichen und damit auch unter verantwortungsethischen Gesichtspunkten abzulehnenden Geschäfte von indexorientierten Anlegern auf Nahrungsmittelmärkten weitmöglichst zu reduzieren. Mit dieser Forderung befindet sich der Autor in der Gesellschaft von über 450 Ökonomen, die sich in einem Offenen Brief für regulatorische Maßnahmen aussprechen, um den weltweiten Hunger und die Armut nicht weiter zu verschärfen.

Der unbestritten noch vorhandene große Forschungsbedarf hat selbstverständlich auch Konsequenzen für die politischen Empfehlungen. So sind die in der Studie vorgeschlagenen Maßnahmen eher mit einem Breitbandmedikament vergleichbar als mit einer gezielten Therapie.

Insbesondere argumentiert die Studie, dass Positionslimits für branchenfremde Akteure ein erster Schritt zur Lösung des Problems sein können – aber etwa durch die Verlagerung von Handelsaktivitäten auf Strohmänner unterlaufbar sind und möglicherweise falsche Signale an Kleinspekulanten senden könnten. Deshalb solle nach Wegen gesucht werden, wie das verhindert werden kann. Eine solche, unbeabsichtigte Konsequenzen des Handelns mitdenkende Vorgehensweise gehört zu den Grundanforderungen an wissenschaftliche Arbeit.

Das von manchen zivilgesellschaftlichen Organisationen geforderte Ausschalten aller „rein finanzwirtschaftlichen Akteure“ (das heißt neben den index-orientierten Anlegern auch der „konventionellen“ Spekulanten!) würde aus Sicht der Studie tatsächlich enorme Liquiditätsengpässe schaffen und Hedgern keine Gegenpositionen ermöglichen und wird daher abgelehnt – ganz im Einklang mit der Position der Welthungerhilfe.

Hingegen plädiert das Gutachten für obligatorische Ethikverträglichkeitsprüfungen für Finanzmarktprodukte. Erfreulicherweise haben die Deka-Bank, die Commerzbank und die LBBW zwischenzeitlich diese Forderung offenbar schon für einige nahrungsmittelbasierte Finanzprodukte umgesetzt und sind nach Prüfung zu dem Entschluss gekommen, diese aus ihrem Portfolio herauszunehmen.

Ein grundsätzlicher Unterschied zwischen den Überlegungen in der Studie und den Zielen der Kampagne der Welthungerhilfe ist nicht erkennbar. Von Organisationsversagen kann also keine Rede sein.

Es ist aber verwunderlich, dass ein Philosoph nicht in der Lage sein sollte, Feinheiten einer abgewogenen, aber gleichwohl engagierten Stellungnahme zu verstehen. Man wünschte sich, dass der Missbrauch nur ein Missgriff war und seufzt: si tacuisses … Man befürchtet jedoch, dass solche Nebelkerzen nach Art der Schopenhauerschen Kunstgriffe geworfen werden als Teil einer Strategie, mit der die Rückkehr der Deutschen Bank und der Allianz zum Handel mit fragwürdigen Finanzprodukten in den Augen der Öffentlichkeit reingewaschen werden soll: Krieg ist Frieden und die Spekulation mit Nahrungsmitteln ist doppel-plus-gut!

Der Autor ist Professor für Internationale Wirtschaft an der Hochschule Bremen.

Hans-Heinrich Bass

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