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Zeigt sich im Interview reuig: Uli Hoeneß.

© dpa

Gastbeitrag: Unsere Moralritter – entzaubert und entmachtet

Uli Hoeneß, Günter Grass und Annette Schavan dienen der Gesellschaft als Sündenböcke, denn das eigene Böse wird gerne bei anderen gesehen. Warum wir uns vor Moralisten, Weltverbesserern und Tugendfanatikern hüten sollten.

Ist es erstaunlich, dass Günter Grass seine frühe Mitgliedschaft in der SS jahrzehntelang verschwieg? Keinesfalls. Viele haben sich an ihre belastete Vergangenheit im Dritten Reich nicht erinnern wollen. Muss man sich wundern, dass Annette Schavan von den abgeschriebenen Stellen in ihrer Dissertation niemandem erzählen wollte? Muss man nicht. Sie ist schließlich nicht als einzige auf diese Art und Weise zu ihrem Titel gekommen. Und nun Uli Hoeneß: Warum nimmt seine Steuerhinterziehung der Nation den Atem, zumal er ein Sünder unter tausend Sündern ist?

Frappierend ist doch nicht, dass diese Leute getan haben, was ihnen vorgeworfen wird. Hochinteressant erscheint mir eher, dass sie alle sich vor ihrer Enttarnung in der Öffentlichkeit moralisch in die Brust warfen und genau diese Taten bei anderen Delinquenten für abscheulich erklärten.

Günter Grass etwa, der linke literarische Chefapostel, der uns Deutschen nach dem Fall der Mauer wegen Auschwitz das Recht auf Wiedervereinigung absprach. Oder Annette Schavan: Wie konnte sie nur auf die Idee kommen, sich für den plagiatorischen Ministerkollegen ausdrücklich und nicht nur heimlich zu schämen, nachdem sie selbst abgekupfert hatte? Schließlich Uli Hoeneß, den man vor Jahresfrist bei Jauch gegen höhere Steuern für die Reichen wettern hörte, weil sie sonst in die Schweiz gehen würden. Er wusste, wovon er sprach.

Sibylle Krause-Burger ist Publizistin. Sie lebt in Stuttgart.
Sibylle Krause-Burger ist Publizistin. Sie lebt in Stuttgart.

© picture-alliance/ dpa

Was also steckt hinter solch unbegreiflichen Äußerungen? Pure Heuchelei? Momentanes Vergessen? Die Hoffnung, nie entdeckt zu werden? Aktives Verdrängen, wie es die Gerichtspsychiater kennen? Etwas in dieser Richtung muss da am Werke sein, und doch auch ein bisschen mehr. Denn das Verdrängte drängt auch wieder zurück. Genau dies soll es aber nicht. Es geht also um das Auslöschen dessen, was man begangen hat, indem man es auslagert und freudig auf dem Buckel anderer entdeckt. Dort macht sich die eigene Sünde besonders gut, dort kann man sie anprangern und zur Hölle schicken.

Was man im Bewusstsein oder im tiefsten Unterbewusstsein als eigenes Unrecht erkannt hat, schafft man so aus sich heraus. Weg ist es. Die alten Juden haben für diesen Zweck den Sündenbock erfunden. Ab in die Wüste mit ihm. Danach kann der Mensch wieder ganz bei sich selbst sein. Danach liest der ehemalige und so lange verheimlichte SS-Jüngling Günter Grass nicht nur den Deutschen, sondern auch den Israelis die Leviten. Annette Schavan gönnt sich ein hämisches Lächeln in Richtung des fränkischen Barons zu Guttenberg. Und Uli Hoeneß weiß ganz genau, was anderen Reichen in der Bundesrepublik frommt. Doch was geht das ihn an, den absoluten König im FC-Bayern-Staat, der nach eigenem Gesetz und Gutdünken mal den Wohltäter spielen und mal die Steuern hinterziehen darf? Nun aber ist alles schiefgegangen. Da stehen sie vor uns als die Täuscher der Nation. Einzelne. Moralritter. Entzaubert. Entmachtet. Von der Wirklichkeit eingeholt. Der Rechtsstaat war stärker als der Staat-im-Staat.

Das kann aber auch genau andersherum laufen. Geschichte und Gegenwart sind reich an solchen Fehlentwicklungen: wenn ein Sünder, ein charismatischer zumal, große Gruppen, eine Partei, ein ganzes System zum Instrument seiner Entlastungsstrategien macht. Wenn er – meistens ist es ein er – die Realität bezwingt und in seinen Wahn einspannt. Wenn Ideologien dazu herhalten müssen, das Böse aus der eigenen Gruppe auszulagern und nur noch bei anderen Völkern, Rassen oder Religionen zu entdecken. Die sind dann schuld am eigenen Versagen, die kann man verdammen, verfolgen, im Zweifel auch vernichten. Wer weiß das besser als wir Deutschen?

Also hütet Euch vor den Moralisten, vor den Weltverbesserern, vor den Fanatikern der Tugend. Vor allem die Hexenjäger sind des Teufels. Und Leuten wie Grass, Schavan oder Hoeneß rufe ich zu, sie mögen sich an den Dichter Terenz aus dem alten Rom erinnern. Der wollte nichts ausgelagert sehen und überlieferte uns die wirklichkeitsnahe und allein heilende Selbsterkenntnis: Nichts Menschliches sei ihm fremd.

Die Autorin ist Publizistin und lebt in Stuttgart.

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