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Mal angenommen, Saif Ahmed Arif lädt zum Essen ein, der Imam der Berliner Khadiya-Moschee: Was wäre da das beste Mitbringsel?

© AFP

Gastgeber und Etikette: Die neueste Nummer

Eine Essenseinladung, was soll man bloß mitbringen? Wein? Blumen? Pralinen? Nein, es gibt etwas viel Besseres. Aktuell, provozierend, französisch, und zugleich lösen sich die Zungen der maulfaulsten Gäste. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Pascale Hugues

Was soll man denn bloß mitbringen, wenn man zum Essen eingeladen ist? Oft eine harte Nuss. Da wären zum einen die klassischen Mitbringsel: Süßigkeiten und Blumenstrauß. Mit diesen beiden kann man nichts falsch machen. Seit Generationen sind sie in den Kodex der guten Manieren eingraviert.

Allerdings liefern Rosenpartei und Pralinenclan sich verbitterte Kämpfe, wie sie das berühmte Chanson von Jacques Brel schildert. Ein schüchterner und etwas unbeholfener junger Mann klopft an die Tür seiner Angebeteten. Sie öffnet. Er hält ihr eine Tüte Bonbons hin und stammelt ein paar Worte: „Ich habe Ihnen Bonbons mitgebracht, Blumen verwelken ja, und Bonbons schmecken doch so gut.“ Gut schmecken sie, aber trotzdem: wie geistlos. Das Glas Marmelade oder die selbstgemachte Fleischpastete, die Flasche Wein oder Champagner, das Buch (bei dem man sehr wahrscheinlich daneben liegt, wenn man seine Gastgeber nicht gut kennt, genauso wie mit einer CD), das Parfüm (viel zu intim und viel zu teuer!) – lauter denkbare Alternativen, aber nicht gerade originell.

Schluss mit Zweifeln und Geschmacksverirrungen! Berlin ist gerade dabei, die bürgerliche Etikette auf den Kopf zu stellen. Sie wollen mit einer Überraschung auftrumpfen? Sie wollen die Augen ihrer Gastgeber freudig funkeln lassen? Sie wollen einen Auftritt mit Erfolgsgarantie? Die anderen Gäste sollen Sie anstarren, mit offenen Mündern nach Luft schnappen wie die Fische im Aquarium? Und Sie wollen eine leidenschaftliche Diskussion auslösen, bevor Sie auch nur Ihren Mantel aufgehängt und sich an den Tisch gesetzt haben? Wenn das so ist, dann bringen Sie das Mitbringsel dernier cri mit: die neueste Nummer von „Charlie Hebdo“. Nicht teuer (wo findet man für drei Euro einen Rosenstrauß?), aktuell, provozierend, französisch, und zugleich lösen sich die Zungen der maulfaulsten Gäste. Die Konversation zischt ab wie eine Rakete, und Sie sind der Star des Abends.

Jeden Morgen gehe ich bei meinem Zeitschriftenhändler vorbei

Eine kleine Aufmerksamkeit, die sich rar macht. Seit zehn Tagen suche ich in Berlin nach Mohammed mit der Träne im Auge, der betretenen Miene und seinem Schild „Je suis Charlie“. Unauffindbar, wenn man nicht bei Tagesanbruch aufstehen und um 5 Uhr früh vor dem Kiosk am Hauptbahnhof stehen will. Jeden Morgen gehe ich bei meinem Zeitschriftenhändler vorbei. Ein Türke, der die französischen Karikaturisten überhaupt nicht witzig findet und den diese neue Darstellung des Propheten schockiert. Jeden Morgen stürzen wir uns in den gleichen absurden Dialog.

Ich: „Aber über den Papst machen Sie sich doch auch dauernd lustig!“

Er: „Ja, aber der Papst…“

Ich: „Wieso? Was ist mit dem Papst?“

Er: „Wer ist denn schon der Papst, bitte schön?“

Ich: Zwei große Fragezeichen in den Augen.

Er: Mit offenem Blick, gerade heraus: „Ist das vielleicht ein Prophet, euer Papst?“

Ich: Sprachlos.

Er: „Na, sehen Sie!“

Und so beginnt das wechselseitige Auftrumpfen mit dem Who is who der Geistlichkeit, es folgt ein alltägliches Religionsscharmützel im Herzen von Schöneberg.

Aber ich habe mich gewappnet. Von meiner Reise nach Paris habe ich einen Packen „Charlie Hebdo“ mitgebracht, und heute werde ich zwischen dem Flughafen Charles-de-Gaulle und Versailles wieder danach suchen.

Diese in Frankreich einst marginalisierte und nur noch von wenigen Getreuen gelesene Zeitschrift hat sich in wenigen Tagen zu einem hochgeschätzten Geschenk, zu einem Kultobjekt gemausert. Anscheinend wird sie zu astronomischen Preisen bei Ebay verkauft. Das ist doch mal eine Idee für einen lukrativen Schleichhandel zwischen Paris und Berlin. „Je suis Charlie“ ist zum globalen Slogan geworden, der sich bestens vermarkten lässt.

In den Souvenirläden des Quartier Latin gibt es schon T-Shirts mit „Je suis Charlie“. Wann kommen die Tassen, die Schlüsselanhänger und die Geschirrtücher wie für die englische Königsfamilie? „Je suis Charlie“ ist ins Kitschinventar eingegangen. Ich habe vor, auf den Frühstückstisch neben den Becher „Je suis Charlie“ den mit der Aufschrift „Keep calm and carry on“ zu stellen. Eine logische und weise Verbindung. Vorausgesetzt, die beiden Becher halten die richtige Reihenfolge ein. Verteidigen auch Sie künftig die Freiheit, vom frühen Morgen an, aber behalten Sie die Nerven! Leben Sie normal weiter, selbst wenn die Bedrohung um uns herum alles plattmacht.

- Aus dem Französischen übersetzt von Elisabeth Thielicke.

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