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Gastkommentar: Aufstand der Angepassten

Krawall in Griechenland: Tanja Dückers über eine Jugend, die zwischen Straßenschlachten und brennenden Autos die Realität entdeckt.

Vermummte Demonstranten mit roten Fahnen, Knüppel schwingende Polizisten und Tränengasschwaden: Die Bilder von den Ereignissen in Griechenland erinnern an den großen Aufruhr von ’68. Pünktlich zum Ende des 40jährigen Jubiläums scheint sich in Europa wieder eine renitente Jugendbewegung zu formieren, die das alte Gesellschaftssystem grundsätzlich infrage stellt.

Nach den Straßenschlachten in den französischen Banlieues entbrannte in Deutschland eine aufgeregte Debatte, ob sich ähnliche Entwicklungen auch hier ereignen könnten. In Griechenland aber gehen nicht die Unterschichten auf die Straße – Jugendliche, die wegen ihrer Herkunft oder ihrer schlechten Bildung kaum noch Perspektiven sehen. Es sind vielmehr überwiegend Schüler und Studenten aus der Mittelschicht, die glauben, keine Zukunft mehr zu besitzen. Vieles daran mag an den spezifischen Problemen des Landes liegen. Dass die Jugendlichen sich als Verlierer sehen, ist jedoch nicht nur ein griechisches Phänomen. Auch in Deutschland bietet der Umstand, jung und gebildet zu sein, keine Garantie mehr für eine erfolgreiche bürgerliche Karriere. Wer jung ist, hat es auf dem Arbeitsmarkt ebenso schwer wie die Alten.

So berichtet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Ende November, dass im vergangenen Jahr durchschnittlich 1,35 Millionen Menschen zwischen 18 und 29 Jahren Arbeitslosengeld II bezogen. Wie die Erfahrung zeigt, schafft nur jeder Dritte von ihnen zumindest vorübergehend den Absprung von der staatlichen Alimentierung. Viele junge Erwachsene sind damit schon zu Beginn ihrer „Karriere“ auf staatliche Transfers angewiesen. Hinzu kommt, dass in der „Generation Praktikum“ auch eine akademische Ausbildung längst keinen entsprechenden beruflichen Einstieg mehr nach sich zieht. Und selbst wer einen Job ergattert, muss oft mit einem Einkommen vorlieb nehmen, das nur knapp über der Armutsgrenze liegt.

Dass sich die Proteste hierzulande bislang in Grenzen halten, liegt vor allem an der pragmatischen Einstellung der jungen Generation. Vor wenigen Wochen hat das österreichische Jugendforschungsinstitut t-Factory 1000 Personen zwischen elf und 39 Jahren zu ihren Einstellungen und Gewohnheiten befragt. Herausgekommen ist dabei eine „Diktatur der Angepassten“: Protest gegen bestehende Mängel gibt es kaum. Stattdessen rückt das Konsum- und Freizeitverhalten in den Mittelpunkt. Bei der Ausbildung und im Beruf herrscht angstgespeister Pragmatismus vor, viele streben danach, möglichst rasch voranzu- kommen. Dafür sind die Befragten auch bereit, ihr Leben der Arbeit anzupassen. Kein Fortgehen bis in den frühen Morgen, kein wildes Party-Hopping mehr oder zumindest temporäres Aufbegehren.

Von zornigem Protest ist diese Generation in ihrer Majorität weit entfernt. Und ganz verübeln kann man die fatalismusgetränkte neue Biedermeierlichkeit niemandem; vielmehr muss man sie als Ausdruck einer legitimen Angst der nachfolgenden Generation lesen, die die von den Älteren geschaffenen Arbeitsmarktstrukturen zu Recht als unbefriedigend und verunsichernd erlebt - aber: Wenn nicht jetzt von den Jungen neue Impulse kommen, von wem dann?

Was sich nun in Athen und Thessaloniki manifestiert, ist keine neue revolutionäre Jugend, die vom Umsturz träumt. Es ist vielmehr die erste Generation, die verbittert feststellt, dass ihre jahrelange Anpassung am Ende nicht belohnt wird. Die ernüchtert konstatieren muss, dass die guten Posten schon verteilt sind und nur die Ruinen des Sozialstaates auf sie warten. Die empört ist, aber keine Antwort mehr darauf weiß.

Kein Zufall, dass diese Erkenntnis zuerst eines der wirtschaftlich schwächsten Mitglieder der Eurozone trifft. Mit der dramatischsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten könnte sie sich bald auch in Deutschland bemerkbar machen.

Die Autorin lebt als Schriftstellerin in Berlin. Ihr Beitrag wurde leicht gekürzt. © Zeit-Online

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