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Gastkommentar: Aus Erfahrung gut

Der ehemalige Bundesfinanzminister Theo Waigel hat einen "Rat der Alten" vorgeschlagen. Er soll Verfassungsrang bekommen. Können die Alten tatsächlich Politiker und Bürger zähmen?

Das alte Jahr endete, wie immer, mit neuen Vorsätzen – und alten Ratschlägen. Und diesmal sogar mit einem „Rat der Alten“, den Theo Waigel vorgeschlagen hat, damit er der Regierung mit Verfassungsrang an die Seite gestellt werden kann. Was die Erstausstattung angeht, dachte Waigel an Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher, Hans-Jochen Vogel, Roman Herzog und Otto Graf Lambsdorff – und vielleicht auch ein wenig an sich selbst.

Natürlich kann man diese Anregung locker als eine der Silvesterraketen abtun, die kurz aufleuchten und verglimmen. Trotzdem ist die Idee bezeichnend – nicht nur für den Zustand unserer gegenwärtigen Politik, sondern auch für das kulturelle Unbehagen an der Demokratie überhaupt. Als Winston Churchill sagte, die Demokratie sei die lausigste aller Regierungsformen, außer all den anderen, mit denen man es bereits probiert habe, fasste er nur die seit Menschengedenken angesammelte

Erfahrung zusammen, dass selbst die beste politische Verfassung nicht imstande ist, uns davon zu befreien, dass die Politik von

Menschen und für Menschen gemacht wird, die nun mal so sind, wie sie sind – bestimmt keine edlen Engel.

Man muss ja vielleicht nicht ganz so weit gehen (oder doch?) wie Machiavelli, der illusionslose Menschenkenner, der in seinen Discorsi notierte: „Alle, die über Politik schrieben, beweisen es, und die Geschichte belegt es durch viele Beispiele, dass der, welcher einem Staatswesen Verfassung und Gesetze gibt, davon ausgehen muss, dass alle Menschen schlecht sind und dass sie stets ihren bösen Neigungen folgen, sobald sie Gelegenheit dazu haben.“

Auch die Autoren der Federalist Papers, die 1787 für die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika und damit die früheste moderne Demokratie warben, grübelten im berühmten 9. und 10. Artikel darüber, wie man einerseits die passions, also die durchaus auch fragwürdigen (An)-Triebe, Neigungen und Leidenschaften, andererseits die interests, also die Gier und die Egoismen der Bürger wie der Politiker zähmen könnte. Selbst wenn Theo Waigels Idee eines „Rates der Alten“ also naiv ist – noch naiver wäre der Glaube an eine fehlerfreie Demokratie, die nicht immer wieder Anlass zu solchen Ideen bietet.

Als 1948 auf der Insel Herrenchiemsee an den Grundzügen eines Grundgesetzes gearbeitet wurde, ging die Idee eines Senates als zweiter Gesetzgebungskammer zugunsten des Bundesrates unter. Im Land Bayern wurde Ende 1999, also vor nunmehr bald zehn Jahren, der dortige Senat sang- und klanglos abgeschafft – obwohl er später einige gedankenlos ruppige Reformen der Schluss-Ära Stoiber hätte mit Vernunft bremsen können. Was dem einen sein Senior, ist dem anderen sein Experte: So hat eine Kommission der katholischen deutschen Bischofskonferenz vor Jahren gefordert, alle wirtschafts- und sozialpolitischen Gesetzentwürfe sollten künftig vor der Verabschiedung durch eine Art Wirtschafts- und Sozialrat begutachtet werden. Die eigentliche Naivität all solcher Ideen liegt allerdings darin: Würde man sie umsetzen, würde das entsprechende Gremium alsbald selber politisiert, eine Gefahr, die auch bei der Einsetzung des Nationalen Ethikrates zu erkennen war.

Nun also die Alten und Weisen, die endlich, nach Jahren der taktischen Rücksichten, offen reden können? Vielleicht dachte der alte Waigel dabei an das eminente Schlitzohr Höcherl, der längst im Austrag saß, als der junge Waigel ihn um eine Wahlkampfrede bat. Darauf Höcherl, der viele Höhen und Tiefen der Politik gesehen hatte und dabei doch stets Mensch geblieben war: „Ich lüg’ schon lang nicht mehr für jeden. Aber zu dir komm’ i’ no’ amoi!“

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