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Gastkommentar: Barack Obama ist unser aller Staatsmann

Der neue US-Präsident zeigt, was Verantwortung in der Politik bedeutet: Barack Obamas Botschaft in Europa richtet sich an die Welt, meint der ehemalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher.

Barack Obama hat seinem Land, den USA, ein neues Gesicht gegeben. Vor seiner Wahl besuchte er Europa, er kam nach Berlin, wo die Spaltung des Kontinents mit der Mauer ihren schrecklichsten Ausdruck gefunden hatte. Jetzt ging er nach Prag, in die wohl europäischste Stadt Europas. Die Stadt, die mit Vaclav Havel die europäische Freiheits- und Geistesgeschichte und die europäische Kultur in besonderer Weise symbolisiert.

Klein erscheinen die stirnrunzelnden Bedenkenträger, die sich vor dem Europabesuch Obamas in ihren Vermutungen gegenseitig übertrafen, wie viele Soldaten und wie viel Geld Obama denn nun fordern würde. Vermeintlich wohlwollend sah man voraus, dass er nun wohl mit seinem „Yes, we can“ auf dem Boden der Tatsachen angekommen sei. Man wurde erinnert an die Zeiten des Zweifels an dem neuen Aufbruch mit der Ost- und KSZE-Politik, an die Zweifel an der Aufrichtigkeit Michail Gorbatschows, aber auch an den Kleinmut, ob der Nato- Doppelbeschluss mit seinem Abrüstungsteil wirklich durchsetzbar sein werde, und schließlich an die Zweifel am Ziel der deutschen Einheit.

Obama zeigt, was Verantwortung in der Politik bedeutet. Ja, ich übernehme die Verantwortung für die Finanzkrise, soll er gesagt haben. Auch wenn er damals noch nicht Präsident gewesen sei. In Prag hob er die besondere Verantwortung Amerikas für die nukleare Abrüstung hervor, weil die USA das einzige Land seien, das Atombomben schon einmal eingesetzt hätte. Das ist staatsmännische Größe.

Obamas atomare Abrüstungsforderung ist visionär und realistisch zugleich. Visionär im Ziel und realistisch mit den ersten Schritten: Ratifikation des Teststoppabkommens durch die USA und ein neuer Vertrag mit Russland über die Begrenzung der strategischen Waffen. Obama will Rüstungskontrolle und Abrüstung. Das bedeutet für Europa die Verständigung über den konventionellen Abrüstungsvertrag KSE. Das alles sind Botschaften auch an Moskau für einen neuen Anfang. Obama nimmt das Bündnis wieder ernst, das heißt, er nimmt auch die Festlegung ernst, dass Rüstungskontrolle und Abrüstung integrale Bestandteile unserer Sicherheitspolitik sind.

Zu den Botschaften Obamas gehört der Führungsanspruch im Kampf gegen den Klimawandel. Das ist ebenso zu begrüßen wie sein Eingehen auf die Forderung der Bundesregierung nach einer neuen Architektur für den globalen Finanzmarkt. Die Botschaft ist klar, Barack Obama will eine kooperative Weltordnung. Dafür spricht auch die Entscheidung bei den G 20 für eine Finanzhilfe für die Dritte Welt.

Die Neuformulierung der politischen und militärischen Strategie des Bündnisses wird die erste Bewährungsprobe für den neuen Generalsekretär der Nato sein. Jetzt ist neues Denken im Sinne eines Harmell II gefordert. Die Vitalität der Nato beruht auf den gemeinsamen Werten ihrer Mitglieder und auf der Tatsache, dass sie mehr ist als ein Militärbündnis alter Art. Ein politisches Bündnis, in dem die militärischen Fähigkeiten durch den politischen Auftrag bestimmt werden. Die Rückkehr Frankreichs in die militärische Integration unterstreicht das.

Obama kam mit einer Botschaft nach Europa. Sie richtet sich an die ganze Welt. Auch Obamas neues Denken wird nicht verhindern können, dass es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Europa kommen wird. Die transatlantischen Partner sollten sich davon nicht beirren lassen. Die gemeinsamen Grundwerte bleiben. Entscheidend ist der neue Geist der transatlantischen Beziehungen. Dem werden sich auch diejenigen in Europa nicht entziehen können, die sich dem Präsidenten George W. Bush näher fühlten als dem Präsidenten Obama.

Ja, Obama hat den USA ein neues Gesicht gegeben und dem transatlantischen Verhältnis eine neue Perspektive und der Welt eine neue Vision. Europa ist gut beraten, bei der Gestaltung von Perspektive und Vision mitzuwirken – mit eigenen Ideen, eigenen Beiträgen und eigenen Initiativen.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Bundesaußenminister.

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