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Meinung: Gastkommentar: Das gelangweilte Albion

Auslandskorrespondenten meiner Generation hassen Sentimentalitäten. Wir nehmen uns Philip Marlowe als Vorbild, rauchen zwei filterlose Zigaretten gleichzeitig (was nicht so einfach ist, wie es klingt) und gurgeln mit Whiskey, um Zahnpasta zu sparen.

Auslandskorrespondenten meiner Generation hassen Sentimentalitäten. Wir nehmen uns Philip Marlowe als Vorbild, rauchen zwei filterlose Zigaretten gleichzeitig (was nicht so einfach ist, wie es klingt) und gurgeln mit Whiskey, um Zahnpasta zu sparen.

Da ist es schon ein komisches Gefühl, wenn man sich dabei erwischt, eine gewisse Traurigkeit über die Schließung des "Independent"-Büros in Berlin zu empfinden. Der "Independent" ist eine müde Zeitung, die von Halbgebildeten geleitet wird, aber trotzdem sorgte der talentierte Korrespondent Imre Karacs für besten Wettbewerb in der Stadt. Es war ein Vergnügen, seine Artikel zu lesen, selbst wenn sie total falsch waren. Ich mache mir keine Sorgen darüber, dass Karacs arbeitslos werden könnte - eine Bank wird ihm wahrscheinlich das doppelte Gehalt anbieten, und seine Frau ist jedenfalls ein wissenschaftliches Genie.

Was mich irritiert: Dass Berlin - noch dazu in einem Wahljahr - offenbar uninteressant geworden ist für angelsächsische Medien. Die großen amerikanischen Zeitungen haben immer noch ihre Büros hier, sind aber nur glücklich, wenn sie ihre Korrespondenten von Berlin weg hetzen - für alle möglichen Geschichten rund um den Globus. Und die BBC beeilt sich in keiner Weise, ihren Fernsehkorrespondenten zu ersetzen, der aus Frust gekündigt hat.

Warum ist das so? Unter Helmut Kohl wäre es undenkbar gewesen, sich aus Deutschland zurückzuziehen. Für die Briten war Kohl die treibende Kraft hinter einem vereinten Europa, das Großbritannien außen vor lassen würde. Jeder Satz über die Währungsunion, wie banal er auch war (und es gab viele solche Sätze), wurde in London zur Nachricht. Für die Briten ist Schröder eine sympathischere Figur. Aber sein Ziel, ein "normaleres" Deutschland zu schaffen, Deutschlands Interessen offen auszudrücken, anstatt sich hinter Europa zu verstecken, hat Deutschland langweilig werden lassen.

Natürlich bekomme ich weiter Routineanfragen, etwa darüber, warum das deutsche Gesundheitswesen oder das Bahnsystem dem britischen überlegen ist. Aber das Faszinierende ist der Berliner Republik verloren gegangen.

So handelt es sich bei der Schließung des Independent-Büros nicht nur um die wirtschaftliche Entscheidung einer Zeitung. Es ist ein Maßstab dafür, wie weit Deutschland abgerutscht ist. Die Deutschen spielen keine Schlüsselrolle mehr in Europa. Und Europa selbst verliert an Bedeutung in einer Welt, die zunehmend von der militärischen Macht Amerikas dominiert wird.

Wenn Deutschland doch nur anfinge, wieder mit den Muskeln zu spielen. Komm zurück, Michael Steiner! Komm zurück, Helmut Kohl! Wenn sich nicht schnell etwas verändert, werde ich wohl auch das "Times"-Büro schließen müssen - zweifellos zur Freude vieler Tagesspiegel-Leser.

Der Autor ist Deutschland-Korrespondent der britischen Tageszeitung "The Times" und lebt in Berlin.

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