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Gastkommentar: Der Bush von der Seine

Nicolas Sarkozy arbeitet gern auf eigene Rechnung – zum Nachteil Europas.

Wir sind alle Amerikaner“, verkündete Jacques Chirac nach dem 11. September 2001. Doch bald folgte der Bruch mit George W. Bush wegen des Iraks. Als Nicolas Sarkozy in den Elysée einzog, freuten sich Europas Transatlantiker. Denn Frankreichs neuer Präsident gilt als Freund der Vereinigten Staaten und ihres noch amtierenden Präsidenten. Von diesem scheint Sarkozy allerdings auch seinen Politikstil übernommen zu haben. Daher wird Frankreichs EU-Ratspräsidentschaft von einer Ironie der Geschichte geprägt: Europa wurde sechs Monate von einem Mann angeführt, dessen außenpolitisches Handeln auffällige Übereinstimmungen mit der überwiegend unilateralen Vorgehensweise von Bush aufweist, die bei den Europäern als geradezu verhasst gilt.

Leidtragender von Sarkozys Politikstil ist nicht zuletzt Deutschland. Als alter „Tandempartner“ bekommt Berlin den Unilateralismus von Paris am stärksten zu spüren. Wiederholt hat der französische Präsident der Bundeskanzlerin demonstriert, dass nach seiner Vorstellung Frankreich der „erste Platz“ und die „Führung“ Europas gebührt und dass er auf eigene Rechnung arbeitet, wenn es um seine Interessen geht: Bei Bedarf stellt Sarkozy den europäischen Stabilitätspakt und die politische Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank infrage. Ohne Abstimmung mit den anderen EU-Mitgliedern und den USA hat er zugestimmt, zu Moskaus Vorstoß einer neuen eurasischen Sicherheitsarchitektur einen OSZE-Gipfel im ersten Halbjahr 2009 abzuhalten. Seine ursprünglichen Vorstellungen von der Mittelmeerunion und nun von einer europäischen Wirtschaftsregierung sollen Frankreich eine dominante Rolle in Europa verschaffen – zum Nachteil der kleineren EU-Staaten.

Bereits vollendete Tatsachen schaffte Sarkozy bei der Besetzung des Chefpostens des Internationalen Währungsfonds mit dem früheren französischen Finanzminister Dominique Strauss-Kahn. Zwar sprach Paris mit Luxemburg und den Vereinigten Staaten über dessen Nominierung, nicht aber mit seinem sonst engsten Verbündeten: Deutschland. Überrascht und verstimmt zeigte sich Berlin auch, als Sarkozys Außenminister Bernhard Kouchner einen Brief von zehn EU-Staaten an den Nahostbeauftragten Tony Blair initiierte, in dem der international vereinbarte Fahrplan für Frieden im Nahen Osten faktisch für hinfällig erklärt wurde.

Aufhorchen ließ überdies eine von Frankreich ausgerichtete Libanonkonferenz – ohne Beteiligung Europas. Irritationen in der EU wie bei den UN waren die Folge. Auch fehlende UN-Mandate bei militärischen Interventionen wie im Tschad oder in der Zentralafrikanischen Republik scheinen Paris in seiner Rolle als „Gendarm Afrikas“ wenig zu stören.

Das Ergebnis dieses Politikstils fällt für die EU ähnlich mager aus wie die Bilanz von Bush für die USA: Der Vertrag von Lissabon ist weiterhin nicht in Kraft. Sarkozys Vorstoß in Sachen Raketenabwehr beim EU-Russland-Gipfel in Nizza hat die Beziehungsprobleme zwischen Moskau und Brüssel nicht gelöst, zumal seine Aussage, die Raketenabwehr in Tschechien und Polen verbessere nicht die Sicherheit Europas, sachlich unzutreffend war. Paris gab auch ohne Not eine der wenigen Sanktionsmöglichkeiten Europas gegenüber Russland auf: die Unterbrechung der Verhandlungen über ein Partnerschaftsabkommen. Dabei stehen heute immer noch russische Truppen in Südossetien und in Abchasien.

Wen wundert es da, dass von Sarkozys groß angekündigtem Versuch, die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit Leben zu erfüllen, nichts mehr zu hören ist? Im Gegenteil: Mit seinen nationalen Alleingängen untergräbt Frankreich den Aufbau einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Der anfangs hoffnungsvolle Titel „Sarkozy l’Américain“ bekommt eine negative Note. Wo bleibt „Sarkozy l’Européen“?

Der Autor ist Referent in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen.

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