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Gastkommentar: Der Faktor Mensch ist beherrschbar

Fast 25 Jahre ist es her, dass die Ukraine mit Tschernobyl eine atomare Katastrophe erlebte, unter der die Menschen in der Region bis heute leiden. Der ukrainische Präsident erklärt, warum er dennoch an der Atomenergie festhält.

Die Katastrophe in Japan hat die ganze Welt erschüttert. Das Mitleid mit denjenigen, die infolge des Erdbebens alles verloren haben, erfüllt unser aller Herzen. Ich war im Januar zu einem offiziellen Besuch in Japan. Von der Not, die kommen würde, war nichts zu spüren, der Alltag verlief ganz normal: Genauso wie vor 25 Jahren in der kleinen ukrainischen Stadt namens Tschernobyl – bis zum 26. April 1986, als das Kraftwerk explodierte.

Von dem heutigen Dienstag an findet in der ukrainischen Hauptstadt der „Gipfel für sichere und innovative Nutzung der Kernenergie“ statt. Dazu habe ich die Chefs von über 50 Staaten und auch von internationalen Organisationen eingeladen. Dieses Forum zum 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe dient nicht nur dem Gedenken an die Opfer und Helden. Es soll die internationalen Bemühungen beim Umgang mit den Folgen des GAU und bei der Kontrolle des vierten Reaktors in Tschernobyl unterstützen.

Gemeinsam mit unseren internationalen Partnern werden wir in den kommenden Jahren den Bau des neuen Schutzmantels über dem zerstörten Reaktor vollenden. Das wird die sichere, umweltisolierte Lagerung des radioaktiven Materials gewährleisten. Wir sind allen Ländern und internationalen Organisationen, die der Ukraine bei der Umsetzung dieses umfangreichen Projekts Beistand leisten, dankbar. Wir Ukrainer sind uns, wie keiner sonst, des hohen Preises eines nachlässigen Umgangs mit dieser Technologie bewusst. Doch auch im Rückblick auf die Tragödie von Tschernobyl glauben wir weiter fest an die Zukunft der Atomenergie.

Während des Vierteljahrhunderts nach Tschernobyl hat es keine Ausfälle und keine Funktionsstörungen an den vier ukrainischen Kraftwerken gegeben, von denen der ukrainische Staat über 50 Prozent seines Stroms bezieht. Nach Tschernobyl wurden bei den ukrainischen Kraftwerken äußerst strenge Sicherheitsstandards eingeführt. Jeder Reaktorblock ist so eingerichtet, dass sein Unfallresistenzsystem die Erdbebenstärke 8,0 auf der Richterskala oder die Zerstörung des Gebäudedachs durch eine abgestürzte Boeing- 737 überstehen würde. Die modernen Systeme der automatisierten Steuerung minimieren heutzutage die Möglichkeit menschlichen Versagens.

Wir dürfen nicht vergessen, dass der GAU von Tschernobyl durch ein verantwortungsloses, ordnungswidriges Experiment mit der Manualsteuerung der Sicherheitsanlagen ausgelöst wurde. Der Unfall bei dem japanischen Reaktor „Fukushima-1“ ist dagegen die Folge des unvertretbaren Risikos, Nuklearkraftwerke in einer geologisch aktiven Region zu bauen. All das bringt uns zum Schluss, dass die Atomenergie noch eine Chance verdient hat.

Neben der verlässlichen Kontrolle unserer Kernkraftwerke bleibt die Stärkung des internationalen Vertrags zur Nichtverbreitung von Nuklearmaterial im Mittelpunkt unserer Politik. Die Ukraine leistet einen großen Beitrag zur weltweiten Nuklearabrüstung und schreitet auf diesem Weg bewusst fort: Im Einklang mit den Verpflichtungen, die beim Gipfel in Washington im April 2010 beschlossen wurden, hat die Ukraine eine erhebliche Menge hochangereicherten Urans aus dem Land geschafft: Es sind bis heute insgesamt 106 Kilo. Und unser Staat wird seinen weiteren Verpflichtungen, die sich aus dem Auslieferungsprozess ergeben, noch vor dem nächsten Nukleargipfel in Seoul gerecht werden.

Als Präsident des Landes, das unter der bisher größten technogenen Atomkatastrophe zu leiden hatte, rufe ich alle Staaten zu einem Dialog auf. Die Zeit, unsere Anstrengungen zu verknüpfen, ist gekommen. Wir haben nur eine Welt. In dieser Welt müssen wir versuchen, den notwendigen technologischen Fortschritt mit wirksamen Sicherheitsgarantien sinnvoll zu kombinieren. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir in der Lage sind, das so umzusetzen, dass uns das Nuklearfeuer warmhalten wird, ohne uns zu versengen.

Der Autor ist Präsident der Ukraine.

Viktor Janukowitsch

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