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Gastkommentar: Der Kernenergie ein Ende setzen

Der Fall Japan zeigt, dass die Verwendung der Atomenergie nicht nur ein deutsches oder europäisches, sondern ein globales Problem ist. Letztlich sind die Gefahren der Kernenergie nicht beherrschbar. Ein Gastkommentar.

Der 11. März 2011 bedeutet einen tiefen Einschnitt, nicht nur für Japan, sondern für die ganze Welt. Deutlicher denn je wurde uns vor Augen geführt, mit welchen Risiken wir zu leben haben, sei es die ganze Menschheit oder aber regional beschränkt. Die Stichworte dafür: Erdbeben und Tsunami. Diese Risiken sind nicht beherrschbar und nicht vermeidbar. Vorsorge kann nur in beschränktem Maße getroffen werden. Die Besonderheit des 11. März ist, dass ein nicht beherrschbares, aber vermeidbares Risiko hinzukommt, nämlich die Reaktorkatastrophe als Folge des Erdbebens und des Tsunamis.

Dass die Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie letztlich nicht beherrschbar sind, hat in Deutschland zu der Einsicht geführt, die Kernenergie als Brückentechnologie zu definieren, das heißt ihr ein zeitliches Ende zu setzen. Das bedeutet zugleich, kein Neubau von Reaktoren und höchstmöglicher Sicherheitsstandard für die verbleibende Nutzungszeit. Bis hierher gilt der von keiner Seite infrage gestellte Grundkonsens. Die Dauer der Brückenzeit ist durch die jüngste Verlängerungsentscheidung für die Laufzeiten in die Diskussion geraten. Festgehalten aber kann werden: Auch bei der früher kürzeren Laufzeit wäre die Katastrophe in Japan in diese deutsche Laufzeitperiode gefallen. Ein sofortiges Abschalten aller Kernkraftwerke Deutschlands hat keine der Parteien des demokratischen Konsenses bisher gefordert.

Die Bundesregierung hat auf die Ereignisse in Japan ebenso entschlossen wie verantwortlich und besonnen reagiert. Das noch für den 12. März von der Bundeskanzlerin einberufene Ministergespräch zeigt die Bedeutung, die die Bundesregierung der Reaktorkatastrophe in Japan und ihren Folgen beimisst. Wichtig und richtig ist die Entscheidung für eine sofortige Überprüfung der Sicherheitsstandards in Deutschland. Dabei geht es nicht nur um den Sicherheitszustand, sondern auch um die Sicherheitsanforderungen.

Als zweiter Schritt erscheint es erforderlich, sachverständig die Konsequenzen feststellen zu lassen, die sich aus der Nuklearkatastrophe in Japan für die Sicherheitslage in Deutschland ergeben.

Drittens ist festzuhalten, dass sich die Auswirkungen von Atomkatastrophen angesichts der insularen Lage Japans anders darstellen, als das auf dem dicht besiedelten europäischen Kontinent der Fall ist. Einheitliche Sicherheitsstandards, die den deutschen entsprechen, sind deshalb dringlich geboten. Hierfür sind europäische Normen notwendig. Das Gleiche gilt für die Unterlassung des Neubaus von Kernreaktoren. Besonders wichtig erscheint, innerhalb der EU eine Verständigung zwischen allen Mitgliedstaaten der EU in dem Sinne zu erzielen, dass die Kernenergie als Brückentechnologie definiert und ihre Endzeit bestimmt wird. Die dafür notwendige europäische Debatte in Gang zu setzen, ist Sache der Regierungen, sie muss aber auch ein ureigenes Anliegen des Europäischen Parlaments sein.

Jedermann wird erkennen, dass es sich bei der Verwendung der Atomenergie keineswegs nur um ein deutsches und europäisches, sondern auch um ein globales Problem handelt. Es ist damit auch ein globales Thema und muss als solches behandelt werden.

Wenn es jetzt darum geht, die Konsequenzen aus den Ereignissen in Japan zu ziehen, so geht es nicht um die Frage: „Was nutzt es, wenn wir uns beschränken und andere es nicht tun?“, sondern es geht um die Frage: „Was müssen wir tun, und wie können wir andere dazu bewegen, an der von der Bundesrepublik vertretenen Energieverantwortungspolitik mitzuwirken?“ In der Tat, es geht um Energieverantwortungspolitik. Das ist mehr als ökonomischer Nutzen oder Versorgungssicherheit, es ist eine Angelegenheit von globaler Dimension und globaler Verantwortung.

Die europäische Solidarität, die Deutschland in der Finanzpolitik beweist, muss auch für Überlebensfragen wie die Nuklearpolitik gelten.

Der Autor war von 1974 bis 1992 Außenminister.

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