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Wagner

© pa/dpa

Gastkommentar: Die Rückkehr des Rinderwahns

Die Kuhprämie ist ein Rückgriff in die Mottenkiste der EU-Agrarpolitik. Warum die CSU ein Sonderprogramm für die Landwirtschaft will.

Weil Worte bekanntlich Politik machen, hat es sich in Berlin eingebürgert, das unpopuläre Wort „Subvention“ durch den unverdächtigen Begriff „Prämie“ zu ersetzen: Finanzhilfen für die notleidende Autoindustrie heißen dann Abwrackprämie oder fürs Baugewerbe Klimaprämie für die Gebäudesanierung. Da will Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner offenbar nicht zurückstehen. Um den darbenden Milchbauern finanziell unter die Arme zu greifen, hat sie jetzt eine Kuhprämie erfunden. 21 Euro pro Kuh soll jeder Milchbauer in den Jahren 2010 und 2011 bekommen – allein dafür, dass die Kuh frisst und Milch gibt. Das soll den Steuerzahler 160 Millionen Euro kosten.

Damit aber nicht genug. Für die Wiese, auf der die Kuh ruht und wiederkäut, soll der Landwirt zusätzlich eine Grünlandprämie von 37 Euro pro Hektar erhalten. Und da die EU nicht zurückstehen will, packt sie für jeden Milchbauern noch einmal 20 Euro pro Hektar als „ergänzende Grünlandprämie“ drauf, wenn der Bauer seine Kühe nicht im Stall, sondern auf der Wiese hält. Flankiert werden diese Direktsubventionen durch großzügige Bundeszuschüsse für die Landwirtschaftliche Unfallversicherung und Liquiditätshilfen für in Not geratene Milchbauern.

Dieses Sonderprogramm für die Landwirtschaft wird den Steuerzahler in den nächsten beiden Jahren 750 Millionen Euro kosten. Und das Verblüffende ist: Niemand regt sich auf. Der SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider meint den Grund zu kennen: Das über die Landwirte, vor allem aber über die Milchbauern ausgeschüttete Füllhorn segelt im Schatten der öffentlichen Aufmerksamkeit, weil „die Steuervergünstigungen für die Hoteliers noch teurer und dreister waren“. Dabei bietet die nach dem Subventionsbericht der Bundesregierung achtgrößte Finanzhilfe für eine Berufsgruppe reichlich Anlass für Empörung: Sie verfestigt überkommene Milchmarktstrukturen, ist ein Rückfall in alte EU-Subventionspolitik, kommt für viele Milchbauern zu spät, weil sie erst Mitte oder Ende 2010 ausgezahlt wird, und bevorzugt die Südländer Bayern und Baden-Württemberg gegenüber den Ländern im Norden und Osten.

Kein Zweifel: Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat auch der Milchwirtschaft hart zugesetzt. Im Wirtschaftsjahr 2008/2009 haben die Milchbauern durch Exporteinbrüche und sinkenden Konsum im Inland vier Milliarden Euro weniger eingenommen, ein Gewinnrückgang um 45 Prozent. Im Durchschnitt betrug der Gewinn eines Betriebes im letzten Wirtschaftsjahr nur noch 19000 Euro, kaum mehr als Hartz-IV-Niveau. Deshalb hält Peter Bleser, Obmann für Landwirtschaft in der CDU/CSU–Fraktion, es auch für legitim, den Milchbauern für „zwei Jahre über die Krise hinwegzuhelfen – wie den Geldhäusern mit dem Bankenrettungsschirm oder der Automobilindustrie mit der Abwrackprämie“.

Die „Feuerwehrmaßnahme“ (Aigner) vor allem für Milchbauern hat die CSU mit Ellenbogen in der schwarz-gelben Koalition durchgedrückt. Kein Wunder. Denn bei der Landtagswahl 2008 hatten die Landwirte Horst Seehofer und Co. massenhaft die Gefolgschaft aufgekündigt. Hatten 2003 nach infratest dimap noch 91 Prozent der Bauern CSU gewählt, war ihr Anteil 2008 auf 52 Prozent zusammengeschnurrt.

Die Kuhprämie ist ein Rückgriff in die Mottenkiste der EU-Agrarpolitik. Vorläufer wie Bullenprämie oder Schafsprämie sind längst zu den Akten gelegt. Durch Fehlanreize hatten sie zu Überschüssen auf Milch- und Fleischmärkten geführt. Für den Milchbauern und agrarpolitischen Sprecher der grünen Bundestagsfraktion, Friedrich Ostendorff, sind die 21 Euro für jeden Kuhschwanz ein „Anachronismus“, weil der „Staat in einen nicht funktionierenden Markt eintritt“. Am heftigsten die Kritik beim Koalitionspartner FDP. Die agrarpolitische Sprecherin der Fraktion, Christel Happach-Kasan, hält die Kuhprämie für „falsch und extrem strukturkonservativ“, weil die Milchquote 2015 ausläuft und die Finanzhilfe die notwendige Anpassung an den dann liberalisierten Milchmarkt bremst. Außerdem missfällt ihr die Ungerechtigkeit der „künstlichen Überlebenshilfe“ für Milchbauern: „Mit der Kuhprämie wird Sozialpolitik gemacht, weil auch Betriebe ohne Zukunftschancen subventioniert werden.“

Der liberale Vorsitzende des Agrarausschusses, Hans Michael Goldmann, hätte lieber die „Produktionsbedingungen“ von Milchbauern verbessert, zum Beispiel die Agrardieselsteuern weiter gesenkt. Und er hätte gern den „Aus- und Umstieg von Milchbauern“ mit zusätzlichen finanziellen Anreizen gefördert, um die Überproduktion von Milch zu verringern. Schon jetzt geben jährlich zwei bis vier Prozent der Milchbauern ihren Hof auf, weil es sich nicht mehr lohnt.

Für den niedersächsischen Milchbauern Norbert Lübbers ist das Sonderprogramm „nicht der große Regenschirm, sondern nur ein kleiner Gehstock“ – allerdings mit zwei Schwächen: Es verteilt Geld nach dem „Gießkannenprinzip“, von dem die Almbauern in Bayern mehr profitieren als er im Emsland mit seinem wettbewerbsfähigen Milchbetrieb. Und die Kuh- und Graslandprämien zusammen sind nach seiner Auffassung nicht mehr als ein „Tropfen auf dem heißen Stein“. So hat ein Milchbauer in Schleswig-Holstein im Wirtschaftsjahr 2008/2009 Mindereinnahmen in Höhe von 80 000 Euro zu verkraften. Die staatliche Schmerzlinderung mit etwa 2000 Euro wird ihm da wenig helfen. Noch anderes wurmt die Milchbauern im Norden und Osten. Landwirtschaftsministerin Aigner hat die Kuh- und Graslandprämie so schlitzohrig konstruiert, dass nach Berechnungen des Münchener Landwirtschaftsministerium mehr als ein Viertel der Prämien – nämlich 210 Millionen Euro – nach Bayern fließen, obwohl der Anteil des Landes an der deutschen Milchproduktion nur 21 Prozent beträgt.

Diese Bevorzugung bayerischer Milchbauern ist einer der Punkte, den die agrarpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Christel Happach-Kasan, in einem Brief an den Parteivorsitzenden Guido Westerwelle, die Fraktionsvorsitzende Birgit Homburger und andere Spitzenliberale anprangert. Darin beklagt sie, dass das Programm nicht mit der FDP-Bundestagsfraktion abgestimmt sei und fordert, dass die Kuhprämie im Bundestag gestoppt wird. Auch der FDP-Haushalter Jürgen Koppelin wundert sich: „Unser Staat muss anscheinend noch viel Geld haben, wenn er Kuhprämien verteilen kann.“

In den Augen des SPD-Haushaltsexperten Carsten Schneider ist das Sonderprogramm Landwirtschaft die „teuerste Wahlbestechung in der Geschichte der Bundesrepublik“. Schlimm für die CSU ist nur, dass ein großer Teil der treulosen bayrischen Bauern sich durch vergoldete Kuhschwänze und andere Geschenke nicht beruhigen lassen will. Während der Deutsche Bauernverband das Hilfspaket brav begrüßt, geißelt der Vorsitzende des radikalen Verbandes der Deutschen Milchviehhalter, Romuald Schaber, die Prämien als „Subventionsorgien“.

Der Autor war stellvertretender Chefredakteur im ARD-Hauptstadtstudio.

Joachim Wagner

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