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Kriegerische Goldelse. Die Säule erinnert an preußische und deutsche Siege.

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Gastkommentar: Die Siegessäule ist das dümmste Monument der Republik

Berlin gedenkt der Falschen, meint Heiner Geißler. Dass das blutrünstige Relief der Siegessäule im Zentrum prangt, zeige ein zweifelhaftes Geschichtsverständnis. Was meinen Sie dazu? Diskutieren Sie mit!

Die ethische Bewertung der eigenen Geschichte durch einen Staat oder eine Stadt wird vor allem dadurch demonstriert, welche Persönlichkeiten und Ereignisse für wichtig gehalten und welche vernachlässigt oder vergessen werden. Seit Jahren setzen sich der frühere Leiter der Evangelischen Akademie Berlin-Brandenburg Robert Leicht, der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der Historiker Heinrich August Winkler und andere dafür ein, dass in Berlin eine Straße nach dem ersten Reichsfinanzminister der Weimarer Republik, Matthias Erzberger, benannt wird – bis auf den heutigen Tag ohne Erfolg, während es ja an Kaiser-Wilhelm- und Hindenburg-Plätzen und -Straßen keinen Mangel hat.

Rechtskonservatives und deutschnationales Gedankengut ist offensichtlich nicht auf Glatzköpfe und NPD-Funktionäre beschränkt, sondern breitet sich ungestört auch in städtischen Ämtern und Parlamenten aus. Die Stadt Berlin findet nichts dabei, dass das dümmste Monument der Republik, nämlich die Siegessäule mit ihren blutrünstigen Reliefs und eingelassenen Kanonenrohren, mit denen die Preußen auf Württemberger, Österreicher, Hessen und Franzosen geschossen hatten, umgeben von Standbildern der preußischen Generalität, mitten in der deutschen Hauptstadt ihren Standort hat.

Sie befürwortet auch die Wiedererrichtung des architektonisch mittelmäßigen Hohenzollernschlosses zu einem Kostenpunkt von einer halben Milliarde Euro, während Opernhäusern, Orchestern und Museen in der ganzen Republik, vor allem in Berlin, Geld und Stellen gestrichen werden. Sie ist aber unfähig, eines großen demokratischen Märtyrers und Staatsmannes angemessen zu gedenken.

Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und Attac-Mitglied.
Heiner Geißler, ehemaliger CDU-Generalsekretär und Attac-Mitglied.

© dpa

Dabei wäre es angesichts der Debatte um die europäische Schuldenkrise und des Bemühens europäischer, aber vor allem auch deutscher Demokraten um deren Bewältigung angebracht, sich an die erste gigantische Schuldenkrise zu erinnern, die das deutsche Volk heimgesucht hatte. Als der Erste Weltkrieg zu Ende war, stand die erste demokratische Regierung in Deutschland vor einem gigantischen Schuldenberg.

Erzberger setzte die erste große Finanzreform der deutschen Geschichte und eine Steuerreform durch, indem er eine Steuer auf Vermögen und Grundbesitz einführte. Er musste sich mit dem fatalen Erbe der Kriegsfinanzierung herumschlagen. Das kaiserliche Deutschland hatte den Krieg vor allem durch Anleihen finanziert. Es gab keine Kapital- und Vermögenssteuer und keine Reichssteuer auf Großgrundbesitz. Der Kaiser und seine Generäle hatten, indem sie an das nationale Gewissen appellierten, den eigenen Bürgern wertlose Schuldscheine aufgeschwatzt und der Oma die letzte Goldmark gegen wertloses Papier aus dem Strumpf geholt. Im Gegensatz dazu hatten Franzosen und Engländer ihre Kriegskosten vorwiegend über höhere Steuern finanziert. Auch die Rüstungskonzerne hatten dort höhere Steuern bezahlen müssen. Im wilhelminischen Deutschland dagegen wurden ihre Rekordgewinne weitgehend geschont.

Erzberger stieß auf den hasserfüllten Widerstand der Vermögens- und Grundbesitzer, aber auch der Deutschnationalen, weil er, als die deutschen Militärs am Ende waren, auf Wunsch der obersten Heeresleitung das Waffenstillstandsabkommen mit den Alliierten unterzeichnet hatte, wozu Hindenburg zu feige war. Wegen dieser sogenannten „Erfüllungspolitik“ und der Steuerreform setzte die deutschnationale Presse – finanziert von den ostelbischen Großgrundbesitzern der deutschen Schwerindustrie und dem späteren Hitler-Verbündeten Hugenberg – eine beispiellose Hetzkampagne gegen Erzberger in Gang mit der Folge, dass der Reichsminister von zwei deutschnationalen Offizieren 1921 erschossen wurde.

Man darf fragen, ob der Widerstand der Berliner Politik gegen Erzberger damit zusammenhängt, dass er Reichstagsabgeordneter der Bismarck-kritischen Zentrumspartei und Leiter der Waffenstillstandskommission war, die allerdings nur die Kriegsverbrechen des Kaisers und seiner Generäle auszubaden hatte. Diese Geschichtsvergessenheit wirft ein miserables Licht auf das historische Bewusstsein der Parteien und der Verantwortlichen in Senat und Abgeordnetenhaus.

Heiner Geißler, 81, schlichtete den Konflikt um Stuttgart 21. Als CDU-Generalsekretär attackierte er einst die politische Linke, heute ist er Mitglied im globalisierungskritischen Netzwerk Attac.

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Heiner Geißler

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