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Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik.

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Gastkommentar: Ein Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie

Um die demokratische Entwicklung Tunesiens, Ägyptens und vielleicht weiterer Länder der Region zu unterstützen, muss die EU vor allem deren eigene Kapazitäten stärken, meint Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Die Menschen in Tunesien und Ägypten haben mit ihren Protesten die These widerlegt, dass Demokratie in der arabischen Welt nur durch einen von außen erzwungenen Regimewechsel möglich ist. Tatsächlich ging der Impuls für einen demokratischen Wandel direkt von diesen Gesellschaften aus. Damit erhöht sich zwar die Chance für eine dauerhafte demokratische Konsolidierung. Garantiert allerdings ist sie nicht. Neue, möglicherweise demokratisch gewählte Regierungen müssen sich mit den gleichen sozialen und wirtschaftlichen Problemen auseinandersetzen, die die alten Regime ignoriert haben und die letztlich zu ihrem Sturz führten. Das wohl dringlichste Problem liegt in der Herausforderung, Arbeitsplätze und damit eine Zukunftsperspektive für die junge Generation zu schaffen. Ohne Unterstützung von außen wird dies nicht funktionierten. Hier könnte einmal mehr die Stunde Europas schlagen: Europa hat sowohl die Chance, als auch die Verantwortung Tunesien und Ägypten und eventuell weiteren Ländern Nordafrikas und des Nahen Ostens auf ihrem Weg zu einer demokratischen Transformation zu helfen. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten müssen dazu allerdings größer denken, klare Signale geben und schnell handeln.

Es ist gut, dass die EU Tunesien und Ägypten jetzt Unterstützung mit ihrem Instrumentarium zur Demokratieförderung anbietet – bei der Durchführung freier und fairer Wahlen, beim Aufbau politischer Parteien, wo dies gewollt ist, bei der Reform von Polizei, des Justizwesens und lokaler Verwaltung. Dies reicht allerdings nicht aus. Auch ein „Marshall-Plan“, wie der italienische Außenminister ihn vorgeschlagen hat, löst das Kernproblem nicht. Mehr Geld für Großinvestitionen bereit zu stellen, kann langfristig sinnvoll sein, wirkt aber eben auch nur langfristig. Große Infrastrukturinvestitionen signalisieren auch noch keinen neuen, auf die Gesellschaften ausgerichteten Umgang Europas mit den Nachbarn im südlichen Mittelmeerraum.

Ein Bündnis, von dem beide Seiten profitieren

Tunesien, Ägypten und eventuell andere Staaten, die sich auf den Weg einer demokratischen Transformation machen, brauchen vor allem eine Stärkung der eigenen Kapazitäten. Das verlangt zunächst eine Öffnung der EU für Produkte und Fachkräfte aus der Region. Vernünftig und kurzfristig realisierbar wäre eine Aussetzung noch bestehender Zölle, vor allem aber von Quoten und anderen nicht-tarifären Handelshemmnissen, die den Import tunesischer und ägyptischer Agrar- oder Textilprodukte in die EU behindern. Eine solche Maßnahme könnte zunächst auf zwei Jahre beschränkt werden. In dieser Zeit ließe sich dann ein auf Langfristigkeit angelegter „Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie“ verhandeln.

Europa hat einerseits Angst vor unkontrollierter Einwanderung, braucht andererseits aber aufgrund seiner eigenen demografischen Struktur die Zuwanderung von Nachwuchs und Fachkräften aus anderen Ländern. Der Bedarf ist vor allem bei technischen Berufen und im Gesundheitssektor groß. Die Länder des südlichen Mittelmeers haben genau, woran es in Europa fehlt: Junge Menschen mit Schul- und Universitätsabschlüssen, die derzeit ohne Chance auf Beschäftigung in ihren Heimatländern sind, aber dringend praktische Arbeitserfahrungen brauchen. Die heute 20- bis 35-Jährigen, die „Baby-Boomer“ der arabischen Welt, sind besonders betroffen. Die nächste Generation ist bereits deutlich kleiner.

Ein „Pakt für Arbeit, Ausbildung und Energie“ entspräche dem Interesse beider Seiten. Dazu könnte zunächst als wesentliches, neues Element der Zusammenarbeit ein Programm für Ausbildung und Arbeit gehören, das sich direkt an die ausgebildeten jungen Leute in Tunesien, Ägypten und – perspektivisch – anderen demokratischen Transformationsländern im südlichen Mittelmeerraum wendet. Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sollten jährlich 30.000 Visa und Arbeitsgenehmigungen für Graduierte aus diesen Ländern bereit stellen, die in einem Tranineeship in europäischen Firmen weitergebildet und dann als Nachwuchskräfte beschäftigt werden. Arbeitsgenehmigungen würden für insgesamt fünf bis acht Jahre erteilt; für die eingeplante anschließende Rückkehr würden die Teilnehmer mit günstigen Starthilfekrediten ausgestattet, um in ihren Heimatländern einen eigenen Betrieb aufzumachen und dort selbst neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Ein langfristig angelegtes Programm dieser Art wäre ein deutliches Signal: Es zeigte nicht nur, dass es bessere Alternativen gibt, als den Versuch, auf dem Boot eines Menschenhändlers nur irgendwie nach Europa zu kommen. Junge Leute in Tunesien oder Ägypten würden stattdessen ermutigt, ihr Studium abzuschließen, um sich mit der Aussicht, für mehrere Jahre legal in Europa arbeiten zu können, um dann mit neuen Fähigkeiten und einem gewissen Startkapital zurückzukehren, um die Teilnahme zu bewerben. Im Gegensatz zu den „Bootsmigranten“ wären sie so in Europa sogar willkommen. Entwicklungspolitisch wäre ein solches Programm vor allem durch die Förderung der Berufsbildung in den Ländern der Region zu unterstützen und zu ergänzen.

Neben der demografischen Dimension bestimmt ganz wesentlich die energiepolitische das Verhältnis Europas zum südlichen Mittelmeerraum. Auch diese gilt es auf eine neue Grundlage zu stellen: Europa braucht saubere Energie und wird nicht in der Lage sein, diese allein auf dem eigenen Territorium zu produzieren. Die nordafrikanischen Länder brauchen ebenfalls Energie, besonders Elektrizität und neue Stromnetze für ihre urbane und industrielle Entwicklung. Sie bieten gleichzeitig die besten Bedingungen für solarthermische Energiegewinnung im großen Umfang. Mit der so genannten „Desertec-Initiative“ ist dies bereits erkannt worden. Tatsächlich bieten sich hier enorme Möglichkeiten für ein privatwirtschaftliches Engagement, das politisch flankiert werden sollte. Denkbar sind etwa Kredite der Europäischen Investitionsbank und die Garantie auf attraktive Einspeisetarife in die europäischen Stromnetze. Das öffentliche Interesse ist zweifellos gegeben, wäre der „Wüstenstrom“ doch trotz der Transportwege letztlich günstiger, sauberer und sicherer als eine auf Photovoltaik, Kohlenwasserstoff oder Atom basierte Elektrizitätsproduktion in Europa. Investoren müssten sich im Gegenzug bereit erklären, mindestens 60 Prozent der produzierten Elektrizität für den lokalen Markt zur Verfügung zu stellen und lokale Arbeitskräfte auszubilden.

Mittelmeerpolitik nicht länger an südliche EU-Mitglieder outsourcen

Ein solcher Pakt, der der europäischen Öffentlichkeit und den Bürgern Tunesiens, Ägyptens und anderer Mittelmeerländer kommuniziert werden müsste, könnte dazu beitragen, eine Entwicklung umzukehren, die viel zu lange die Beziehungen prägte. Bisher verließen sich Regierungen des Nordens auf die repressiven Regime der südlichen Mittelmeerländer, um von diesen Öl, Gas und den Schutz ihrer Grenzen vor unerwünschten Immigranten zu erhalten. Nun sollte eine Entwicklung eingeleitet werden, die den demographischen Reichtum dieser Länder positiv nutzt und Entwicklungspotenziale fördert.

Deutschland und andere nördliche Mitgliedsstaaten der EU können ihre Politik gegenüber Nordafrika nicht mehr länger an die Südschiene outsourcen. Frankreich und Italien vor allem tragen maßgeblich Verantwortung dafür, dass die europäische Mittelmeerpolitik in den letzten Jahren zunehmend intergouvernemental ausgerichtet und dementsprechend oft genug als Partnerschaft von Sarkozy und Mubarak, Berlusconi und Gaddafi inszeniert wurde. Deutschland, Großbritannien oder die skandinavischen Staaten sind deshalb jetzt in einer guten Position, einige notwendige Änderungen europäischer Politik auch gegen die Einwände einzelner südlicher EU-Mitglieder durchzusetzen.

Volker Perthes ist Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Der Text erscheint auf der SWP-Homepage unterKurz gesagt“.

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