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Die Liberalen finden, die Zeit ist reif für eine Steuersenkung. Wirtschaftsexperten sehen das anders.

© dpa

Gastkommentar: Kein Geld für Steuergeschenke

Die Regierung sollte den Aufschwung lieber nutzen, um den Haushalt zu sanieren, finden die Experten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

Fünf bis zwölf Milliarden Euro will die Bundesregierung im kommenden Jahr für Steuersenkungen nutzen. Der Grund: Sie sieht aufgrund der guten konjunkturellen Lage haushaltspolitischen Spielraum und möchte kleine und mittlere Einkommen entlasten. Aber, wie gut ist die gesamtwirtschaftliche Lage eigentlich? Und wer würde von den Steuersenkungen profitieren?

Gemessen an den Defiziten infolge der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich die Situation der öffentlichen Haushalte zwar verbessert. Aber der Großteil des Aufschwungs ist eine Aufholjagd. Deutschland hat gerade einmal seine durch die Krise ausgelösten Produktionsverluste aufgeholt. Das ist erfreulich, aber kein Grund zum Jubeln und schon gar kein Grund zum Geldausgeben. Denn in Aufschwung-Phasen sollten ausgeglichene Haushalte erreicht werden. Wann, wenn nicht in Boom-Phasen, sollen Staatsfinanzen saniert werden?

Trotz des Super-Aufschwungs weist Deutschland ein Haushaltsdefizit von ein bis 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus, die Schuldenquote liegt deutlich über 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Zusätzlich drohen neue Milliardenlasten durch Energiewende, Bundeswehrreform und Euro-Rettung – ganz zu schweigen von den schwierigen Perspektiven, die sich durch die demografische Entwicklung abzeichnen. Haushaltspolitischer Spielraum sieht anders aus.

Und so bringt Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bereits ein neues Argument für die geplanten Entlastungen ins Spiel: „Eine konkrete Steuersenkungsperspektive ist ein wichtiges Mittel, um weitere Ausgabenwünsche abzuwehren, und kann so helfen, den Haushalt tatsächlich nachhaltig zu konsolidieren.“ Man will den haushaltspolitischen Spielraum also nutzen, um genau diesen einzuschränken und so später auf den fehlenden Spielraum verweisen zu können?

Die Steuersenkungen sollen gezielt die kleinen und mittleren Einkommen steigen lassen. Damit muss auch die Frage gestellt werden, ob Steuerentlastungen tatsächlich zur Lösung von Verteilungsproblemen im unteren Einkommensbereich beitragen können. Die Antwort lautet: eher nicht. Von einer Senkung des Einkommensteuertarifs im Eingangsbereich würden vor allem mittlere Einkommen profitieren. Geringverdiener zahlen keine oder kaum Einkommensteuer und haben deswegen auch so gut wie nichts von einer Absenkung.

Den gegenteiligen Effekt, nämlich eine Entlastung der mittleren und hohen Einkommen würde wohl die radikale Steuervereinfachung bewirken, wie sie von Professor Paul Kirchhof wieder in die Diskussion gebracht wird. Wenn man die Wirkungen solcher Radikal-Reformen untersucht, zeigt sich, dass ein einfacheres Steuersystem nicht notwendig effizienter und gerechter ist. Die großen Steuerausfälle bei den hohen Einkommen – so hat das DIW bereits vor Jahren ausgerechnet – können weder durch Verbreiterungen der Bemessungsgrundlagen noch durch sinkende Verwaltungskosten oder positive Wachstums- und Beschäftigungswirkungen aufgefangen werden. Am Ende würde eine solche Reform vor allem Löcher in die Staatsfinanzen reißen. Will man mehr Verteilungsgerechtigkeit erreichen, müsste man hingegen eher die oberen Einkommensteuersätze anheben oder größere Vermögen stärker besteuern.

Verteilungspolitisch besser nachvollziehbar wäre eine Senkung der Sozialabgaben, wie die Union sie diskutiert. Davon würden auch untere Einkommen profitieren – allerdings nicht die Mini-Jobber, die keine Abgaben zahlen, und auch nicht Rentner und Hartz-IV-Empfänger. Und die gesetzliche Rentenversicherung wird auch nicht stabilisiert, wenn jeder Wirtschaftsaufschwung zur Senkung des Beitragssatzes genutzt wird.

Wer sich auf die Suche nach einem Bindeglied zwischen gerechter Verteilung und Nachhaltigkeit macht, entdeckt nicht nur die „Haushaltskonsolidierung“, sondern auch Chancengleichheit und Bildung. In Zeiten der Finanzkrise ist das Thema in den Hintergrund geraten, aber über den späteren Wohlstand im Leben entscheidet auch weiterhin vor allem die Bildung. In diesen Bereich muss Deutschland investieren, und zwar in die Bildung von klein auf. Anstatt die Steuern zu senken, sollte nicht nur in die Quantität, sondern auch in die Qualität der frühkindlichen Bildung und Betreuung investiert werden. Länder und Kommunen, die für den frühkindlichen Bereich zuständig sind, brauchen ihre Anteile an dem Steueraufkommen und noch mehr. Eine Erhöhung der Bundesbeteiligung im Bereich der frühen Förderung wäre auch höchst sinnvoll, bevor voreilige Steuergeschenke gemacht werden.

Zurück zur Konjunktur: Für diese wird die diskutierte Steuersenkung keine merklichen positiven Impulse geben. Im Gegenteil: Angesichts des ohnehin starken Wachstums könnten sich niedrigere Steuern und dadurch ausgelöste höhere Nachfrage schlicht in steigenden Preisen niederschlagen. Auch mehr Gerechtigkeit ist mit einem Steuergeschenk von zehn Milliarden Euro nicht zu erreichen. Wenn man finanziellen Spielraum sieht, sollte man ihn nutzen, um nachhaltig in die Zukunft zu investieren: in Schuldenabbau oder mehr Chancengleichheit.

Gerd G. Wagner ist Vorstandsvorsitzender des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Stefan Bach ist Steuerexperte des DIW.

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