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Gastkommentar: Kollektive Sicherheit gibt es nicht

Für eine Großmacht wie die USA ist Angriff die einzige Verteidigung. An dieser Grundtatsache wird Obama nichts ändern können und wollen.

Barack Obama wird – so möchte man meinen – die aggressive amerikanische Außenpolitik beenden und dem Angriffskriegsverbot der UN- Charta Gehorsam leisten. Seine Äußerungen darüber sind allerdings vage. Er kritisiert zwar die Übergriffe auf Irak und Afghanistan, hütet sich aber davor, seine prinzipielle Unterwerfung unter das Gesetz der Charta zu erklären.

Im Inneren der amerikanischen Regierung wird bisher in die Gegenrichtung gearbeitet: an Plänen, die Charta zu ändern. Das Ministerium für Homeland Security, das für die Terrorbekämpfung zuständig ist, verlangt, „dass die Staaten das Recht auf grenzüberschreitende Präventivschläge zur Abwehr einer terroristischen Bedrohung bekommen“. Würde sich dieser Vorschlag durchsetzen, wäre das Völkerrecht in seinem Kern getroffen. Die UN-Charta betrachtet jede Verletzung der territorialen Integrität eines souveränen Staates als Angriffskrieg, ganz gleichgültig, wodurch sie motiviert ist. Allein der UN-Sicherheitsrat darf solche Übergriffe anordnen. Dieses „System der kollektiven Sicherheit“ ist die Basis der gesamten internationalen Ordnung. Wenn man das Angriffskriegsverbot beseitigt, schafft man ein Völkerrecht neuen Typs. Oder besser gesagt: Man stellt das Völkerrecht alten Typs wieder her, das bis zum Völkerbund galt – die freie Wildbahn, in der das Recht des Stärkeren gilt.

Muss man nun hoffen, dass Obama solchen Plänen ein Ende bereitet? Nein. Diese Pläne sind insofern gerechtfertigt, als das System der kollektiven Sicherheit noch nie funktioniert hat und auch gar nicht funktionieren kann. Das Angriffskriegsverbot kann keinen Gehorsam erwarten, weil es sich nicht durchsetzen lässt. Es baut auf Illusionen auf und hat den Weltfrieden noch nie absichern können. Schon der Völkerbund, der das Verbot eingeführt hat, scheiterte daran, dass er seine Durchbrechung nicht verhindern konnte. Und wenn der Kalte Krieg nicht heiß wurde, so war das nicht dem Gehorsam gegenüber der Charta zu verdanken, sondern dem Gleichgewicht des Schreckens.

Einsichtige haben immer gesehen: Der Ungehorsam gegenüber dem Gewaltverbot ist vielleicht perfide; er ist aber strukturell notwendig. Gehorsam ist, nach dem Hobbes’schen Theorem, notwendig an die Gewährung von Schutz gekoppelt. Die UN, deren Charta den Nationen Gehorsam abverlangt, bietet ihnen nicht den nötigen Schutz. Nur solche Staaten können dem Gewaltverbot Folge leisten, die umgekehrt auch vor Angriffen bewahrt werden. Das trifft nur für kleinere Staaten zu, die sich einer Großmacht untergeordnet haben. Von ihnen – wie zum Beispiel von den europäischen Staaten, die unter dem Schutzschild der USA stehen – kann der Verzicht auf eigenmächtige Gewaltanwendung erwartet werden; dabei handelt es sich aber, im Grunde genommen, nicht um Gehorsam gegenüber der Charta, sondern gegenüber der schützenden Großmacht. Die Großmacht selbst aber, die niemandem unter die Flügel kriechen kann, kann auf den Angriff, der die beste Verteidigung ist, nicht verzichten – sie kann ihn nur verschleiern.

An dieser Grundtatsache wird Obama nichts ändern können und wollen. Mit der Änderung der Charta wäre eine Rechtslage geschaffen, die die Verschleierung überflüssig macht. Das wäre immerhin ein Fortschritt. Jahrelang wurde die Öffentlichkeit getäuscht. Unter der Verwendung von Begriffen wie präemptiv, asymmetrisch, New War und so weiter wurde ihr weisgemacht, dass die in fremden Ländern vorgenommene Terroristenbekämpfung kein wirklicher Krieg und deshalb erlaubt sei. Wiederum verschleiernd wirkt aber, wenn das Homeland Security zwar verlangt, dass „die Staaten“ das Recht auf grenzüberschreitende Präventivschläge bekommen, bei genauerem Hinsehen aber nur von den „USA und anderen Demokratien“ spricht.

Keineswegs wird die Rückkehr in die freie Wildbahn propagiert. Im Gegenteil: Es soll ein Monopol für legitime Gewaltanwendung geschaffen werden. Mit anderen Worten: eine Weltpolizei. Dafür besitzen bisher weder die USA noch der Rest der Welt die nötige Reife. Diese Perspektive darf nicht einmal offen diskutiert werden. Vielleicht ändert sich daran etwas unter der Regierung Obama.

Die Autorin ist Juristin und unterrichtet an der Uni Potsdam.

Sibylle Tönnies

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