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Gastkommentar: Kopfpauschale klingt nur finster

Es ist nicht mehr sinnvoll, die Gesundheitsbeiträge an den Lohn zu koppeln.

Zwar hat die schwarz-gelbe Koalition bislang nicht mehr vorzuweisen als ein Papier mit wolkigen Erklärungen, das hindert manche aber nicht an einem ausgeprägten Verdacht: Mit dieser Regierung wird es zu einer „Eiseskälte“ (Michael Sommer) kommen oder eine „Geisterfahrt in einen anderen Sozialstaat“ (Norbert Blüm) wird beginnen. Viel Grund zum Fürchten also.

Das alles, obwohl die härteste Prüfung durch den Koalitionsvertrag bislang nur darin besteht, viele Konzepte durch noch mehr Kommissionen bearbeiten zu lassen. Und doch erregt unter den wolkigen Formulierungen eine bereits jetzt Anstoß: „einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge“. Damit kann doch nur die früher mal „Kopfpauschale“ genannte Idee der CDU gemeint sein. Also eine Finanzierung der Krankenversicherung durch einen für alle gleichen Beitrag, unabhängig davon, wie hoch das konkrete Einkommen ist.

Das klingt finster. Da soll ein gut verdienender Chef genauso viel zahlen wie seine drastisch schlechter bezahlte Sekretärin. Findet jeder von uns schlecht. Aber: Gute Opposition muss schon genau hinschauen. Das Nachdenken über eine andere Organisation des Sozialstaats steht an. Das bedeutet nicht, ihn abzuschaffen, und ob das zu Ungerechtigkeiten führt, ist lange nicht ausgemacht.

Zunächst mal eine Frage: Ist es wirklich der Gipfel der sozialen Gerechtigkeit, wenn wir unsere Krankenversicherung durch prozentuale Beiträge vom Lohn bezahlen? Auf den ersten Blick natürlich ja, denn 14,9 Prozent von 1600 Euro sind deutlich weniger als 14,9 Prozent von 3500 Euro. Allerdings ist Lohnarbeit längst nicht mehr die einzige oder wenigstens die ausschließlich vorherrschende Form, in der Menschen in unserem Lande Einkünfte erzielen. Sie erhalten Transferleistungen – also etwa Rente, Sozialhilfe – oder aber sie haben Einkünfte aus freier, nicht angestellter Tätigkeit oder auch aus Geldanlagen. Letztere Einkünfte werden aber nicht beachtet bei der Festlegung der Beitragspflichten für die Krankenversicherung. Es ist etwa der Fall denkbar, dass ein Mensch mit 15 Stunden in der Woche beschäftigt ist, auf den entsprechend geringen Lohn Beiträge bezahlt und damit voll krankenversichert ist, während er aber aus einer Erbschaft noch monatlich einige tausend Euro erhält, die für den Krankenversicherungsbeitrag keine Rolle spielen.

Betrachtet man das, ist es nicht mehr gar so abwegig, über eine Gesundheitspauschale nachzudenken: die Kosten für die Krankenversicherung umlegen auf alle, daraus einen Betrag ableiten, den jede Person zahlen muss, und im zweiten Schritt demjenigen, der diesen Betrag nicht zahlen kann, Unterstützung zu geben – eine Unterstützung, die dann aus Steuermitteln bezahlt wird, womit der Mensch mit dem ererbten Einkommen noch einmal dran sein wird, für die anderen mitzuzahlen.

Es ist im Prinzip kein falscher Gedanke, mit einer solchen Prämie für jeden Menschen festzulegen, welchen Preis er für seine Gesundheit in einem solidarischen System aufbringen muss. Die Umverteilung ist eine sozialpolitische Aufgabe danach – und getrennt von der Gesundheitspolitik. Mit diesem für alle gleichen Betrag sollte niemand überfordert werden, nicht die Einkommensarmen, nicht die Menschen mit Familie. Das Steuersystem ist der Ort, an dem die gesamte finanzielle Situation eines Menschen erfasst und wo er entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zu Abgaben verpflichtet wird. Eigentlich also genau das richtige System, um Solidarität konkret werden zu lassen.

So weit die Theorie. Ob die neue Regierung das in der Praxis dann auch hinbekommt, ist eine offene Frage. Zumindest der CDU ist es schon einmal missraten, einen entsprechenden Vorschlag mit überzeugenden Maßnahmen zum sozialen Ausgleich zu verbinden – 2004, als ihre Kommission für den Sozialstaat in diese Richtung dachte. Ob der neuen Regierung ein großer Wurf gelingt, bleibt abzuwarten. Allerdings: Mit dem Versprechen von Steuersenkungen auf breiter Front wird das nicht zusammengehen. Kann sein, dass die Zeit der starken Worte für die Opposition noch kommt.

Die Autorin war bis 2001 Gesundheitsministerin und ist heute selbstständige Beraterin für Unternehmen der Gesundheitswirtschaft.

Andrea Fischer

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